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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und Dachlatten zu spüren, doch das machte ihn nur härter. Sein Volk hatte das Land nie besessen, sondern bewohnt, hatte mit ihm gelebt, als Teil dieses Landes. Sie hatten nichts gekauft und verkauft oder Produktionsmittel enteignet – sie hatten in ihren Clans gelebt, zusammengearbeitet, gemeinsam gesät und geerntet, das Wild miteinander geteilt, ihre Kleider und Werkzeuge aus Naturprodukten hergestellt. Genau. Erst die Weißen – die Kapitalisten mit ihrer Gier nach Fellen, Holz und Grundbesitz – hatten alles verändert, eine großartige, eine freigebige, eine kommunistische Gesellschaft erdrosselt. Sasha Freeman schrieb ein Buch. Jeremy Mohonk stieg den Hügel zu Nysen’s Roost hinauf, einem sagenumwobenen Ort, der wie kein anderer zu ihm sprach, und schlug Rombout Van Wart nieder – das Symbol, den Prototyp des Enteigners –, klatschte ihn zu Boden wie eine Fliege.
    Im Zuchthaus war er widerborstig, hart und unnachgiebig wie die Steinblöcke, die bei der Errichtung des Baus übereinandergestapelt worden waren. Das ist so Vorschrift, sagte der Wärter, als er ihn durchs Eingangstor und den langen Gang entlang auf den Friseurstuhl führte. Mohonk hatte sein Haar wachsen lassen, bis es ihm in einem armdicken Zopf den Rücken hinunterhing, und den Wirbelstrang des Störs trug er um die Stirn geschlungen wie Gummiband. Und während er dünn und schlaksig gewesen war, als er Sasha Freeman kennengelernt hatte, war er jetzt achtzehn Kilo schwerer – und nahm weiter zu. Vier Männer mußten ihn niederhalten, als man ihm den Kopf kahl schor. Sie rissen ihm den Wirbelstrang von der Stirn und warfen ihn zum Müll. Um ihm Benehmen beizubringen, bekam er erst mal drei Wochen Einzelhaft.
    Als die drei Wochen um waren, wies man ihm eine Doppelzelle zu. Sein Mitinsasse war ein weißer Einbrecher, dessen Haut die Farbe von rohem Teig hatte und über und über mit Tätowierungen verunstaltet war wie mit Blaubeerflecken. Jeremy redete kein Wort mit ihm. Er sprach mit gar niemandem – weder mit den anderen Häftlingen, den Wärtern und Kalfaktoren noch mit dem armseligen Fettarsch von Priester, der alle paar Monate den Kopf durch die Zellentür steckte. Er haßte einen wie den anderen, die ganze Rasse, die sein Blut besudelt, sein Land gestohlen und seine Freiheit geraubt hatte, die Rasse der geldgeilen Kapitalisten. Er war zwanzig, und für jedes Jahr, das er gelebt hatte, mußte er ein Jahr absitzen: zwanzig Jahre, hatte der Richter intoniert, mit Worten, so gellend wie sein herabknallender Hammer. Zwanzig Jahre.
    Im zweiten Monat nahm ihn einer der Wärter – ein schwabbeliger, verpickelter Kerl, ein ungebildeter Ire aus Verplanck – aufs Korn und reizte ihn mit all den alten Spottnamen: Häuptling, Hiawatha, Squaw, Hundefresser. Als Jeremy nicht darauf reagierte, trieb es der Ire noch weiter, indem er ihn kübelweise mit Dreckwasser überschüttete, durch die Gitterstäbe anspuckte und mitten in der Nacht für sinnlose Inspektionen weckte. Jeremy hätte ebensogut taubstumm oder eine Steinskulptur sein können. Nie wehrte er sich, sagte irgend etwas dazu, brachte Erstaunen oder Unruhe zum Ausdruck. Doch eines Morgens, in aller Frühe, als die Lampen gegen das Grau der Dämmerung ihre Kraft verloren, stand er bereit, wartete im Schatten der Zellenwand. Der Ire machte seinen Rundgang zum Wecken, marschierte mit dem Knüppel durch den Zellentrakt und fuhr damit klirrend am Gitter entlang, hinter sich die Flüche, das Stöhnen, das Ächzen und Prusten der Männer, die sich aus ihren Betten wälzten. »Zeit zum Aufstehen!« rief er schadenfroh, wiederholte es ständig, während er sich Jeremys Zelle näherte, »los jetzt, auf die Beine!« Der Indianer lauerte ihm auf, reglos, wachsam wie auf der Pirsch nach Hirschen oder Bären. Und dann war der Ire da, der Knüppel knallte gegen das Gitter, seine Stimme war strafend und sadistisch: »Hey, Jeronimo. Hey, Arschloch. Raus aus’m Bett!«
    Jeremy stieß beide Arme durch die Stäbe und packte ihn am Hals. Sie hatten ihn im Steinbruch schuften lassen, und sein Griff war so fest wie der Griff der Mohonks sämtlicher Generationen. Der Wärter ließ den Knüppel klappernd zu Boden fallen, zerrte verzweifelt an den Handgelenken des Indianers. Sein Gesicht war eine Pustel. Und schwoll an. Wurde rot und immer dicker. Nur Zentimeter entfernt. Jeremy mußte nur lange genug drücken und sie würde ein für allemal platzen. Aber plötzlich war jemand hinter ihm – sein Zellengenosse,

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