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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dieser tätowierte Idiot –, brüllte und riß an seinen Armen, und dann kamen noch zwei, drei Wärter dazu, ihre Knüppel prasselten auf seine Hände, seine Finger nieder, der ganze Trakt war in hellem Aufruhr. Schließlich lösten sie seinen Griff, doch er packte dafür die fette weiche Hand von einem der anderen und quetschte sie so lange zusammen, bis er die Knochen knacken spürte. Dann waren sie in seiner Zelle, fielen gemeinsam über ihn her und ließen auf ihre Weise Gerechtigkeit walten.
    Als es vorüber war, bekam er drei Monate Einzelhaft und an seine Strafe zwei Extrajahre angehängt.
    So ging es während seiner gesamten Zeit in Sing-Sing. Er bekämpfte sie jede Minute – jede Sekunde – jeden Tages. Auch als der Krieg ausbrach und sie Straßendiebe, Einbrecher und Brandstifter entließen, damit sie gegen die Faschisten in den Krieg zogen, gab er nicht nach. »Die Faschisten seid ihr«, sagte er dem Direktor, dem Rekrutierungsoffizier, den Wärtern, die ihn ins Büro der Zuchthausleitung schleppten. »Die Revolution wird euch alle überrollen.« Es waren die ersten Worte, die man ihn seit Jahren hatte sagen hören. Die Zellentür fiel krachend hinter ihm zu.
    Trotz all seiner Entschlossenheit, trotz seiner Härte machte ihn das Zuchthaus letztendlich doch mürbe. Er kannte Häftlinge, die hingerichtet wurden, sah Männer, die ihr ganzes Leben hinter Gittern verbracht hatten, mit krumm gewordenen Rücken und eingefallenen Gesichtern. Er war noch jung. Der Letzte seiner Sippe. Seine Aufgabe im Leben war es, etwas von dem zurückzuerlangen, was sein Volk verloren hatte, sich eine Frau mit reinem Blut zu suchen – eine Shawangunk, eine Oneida, zur Not eine Seneca wie sein Vater – und den Stamm am Leben zu erhalten. Er war dazu bestimmt, die Wälder zu durchstreifen, sich der alten Lebensweisen zu erinnern, die heiligen Orte zu ehren – es war ja kein anderer da, der es hätte tun können, kein einziger unter all den wimmelnden Horden, die sich wie Heuschrecken auf der Erde ausbreiteten. Dieses Wissen machte ihn gelassener. Die Kriegsjahre zogen vorbei, Sing-Sing war ruhig, unterbelegt. Er vermied Ärger. 1946, fünf Jahre vor Ablauf seiner vollen Haftdauer, ließ man ihn frei.
    Um acht Uhr morgens an einem eiskalten, windigen Dezembermorgen trat er durch das Tor, in einem billigen Anzug und einem Mantel aus der Schneiderwerkstatt des Gefängnisses, den lächerlichen Lohn für siebzehn Jahre Zuchthausarbeit tief in die Brusttasche geschoben. Bei Einbruch der Dunkelheit war er wieder auf Nysen’s Roost, hockte am Lagerfeuer mit einer Dose Corned Beef und mit einem Messer aus einer Pfandleihe in Peterskill, einem Messer wie dem, das Horace Tantaquidgeon einst seinem Vater zwischen die Lendenwirbel gestoßen hatte, zu einer Zeit, die so weit entfernt schien wie der Anbeginn der Geschichte.
    Er verbrachte dort ein ganzes Jahr, ehe ihn jemand bemerkte. Aus Holz und Teerpappe hatte er sich eine Hütte gebaut, etwa halb so aufwendig wie Thoreau vor hundert Jahren. Hatte sie unter der Weißeiche errichtet, an jenem Platz, der zu ihm sprach, genau da, wo vor zwanzig Jahren seine erste Hütte nur allzu kurz gestanden hatte. Was ihm fehlte – Nägel, eine Axt, Plastik zum Bespannen der Fenster –, eignete er sich von den Städtern an, die sich am Rande seines Reiches auf ihren Asphaltstraßen und den gemauerten Grillplätzen herumdrückten. Als der Gefängnisanzug in Fetzen fiel, machte er sich aus der Haut eines Rehs einen Lendenschurz und eine Weste. Der Tontopf, den er zum Kochen verwendete, war nach jahrhundertealtem Brauch geformt, bearbeitet und gebrannt.
    Man schrieb das Jahr 1947, es wurde Herbst. Standard Crane, Peletiahs Sohn, ein hakennasiger, glubschäugiger Schlaks von Anfang Dreißig, jagte Eichhörnchen und stieß eines Morgens plötzlich auf die Hütte. Jeremy kam heraus, in seinem fleckigen Lendenschurz, die Schwingenfedern des Rotschwanzbussards ins Haar geflochten, und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Verwirrt senkte Standard den Lauf seiner Schrotflinte, schob sich die Mütze in den Nacken und kratzte sich am Kopf. Einen Moment lang war er so durcheinander, überrascht und verdutzt, daß er nur eine Serie von Räusperlauten von sich geben konnte, die der Indianer für einen rudimentären Jägerlockruf hielt. Dann aber brachte er, unter verlegenem Füßescharren, ein »Guten Morgen« hervor und erkundigte sich, ob er und Jeremy einander schon kennengelernt hätten. Der Indianer

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