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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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oder fünf gewesen; als er sie zum letztenmal hörte, war er ein erwachsener Mann von achtzehn Lenzen.
    Sein Vater erzählte ihm, wie Manitou seine Große Frau auf die Erde gesandt hatte, und sie hatte sich in das Wasser gehockt, das damals alles bedeckte, und das feste Land geboren. Unverzagt nach dieser gewaltigen Entbindung kreißte sie gleich noch einmal und gebar die Bäume und die Pflanzen, und zuletzt drei Tiere: das Reh, den Bären und den Wolf. Von diesen stammen alle Menschen auf Erden ab, und jeder von ihnen – Mann, Frau und Kind – besitzt das Wesen eines dieser Tiere. Es gibt jene, die unschuldig und zaghaft sind wie das Reh; jene, die tapfer, verläßlich und nachtragend sind wie der Bär; schließlich jene, die falsch und blutrünstig sind wie der Wolf.
    Abgezehrt, mit verhärmtem Gesicht und bis auf die Knochen eingefallenen Wangen, saß Mohonk der Ältere da, auf dem Kopf den Zylinder, den ihm die Tantaquidgeons als Teilwiedergutmachung für die Verletzung geschenkt hatten, und erzählte seinem Sohn von Gott und dem Teufel, von Seelen und Geistern, die den Dingen innewohnen, von pukwidjinnies, neebarrawbaigs und den Klabautermännern, die in den stillen, abgeschiedenen Lagunen des Hudson spuken. Jeremy war elf, dann zwölf, dann vierzehn. Sein Vater starb dahin, doch die Geschichten nahmen kein Ende. In der Schule lernte er, daß Lincoln die Sklaven befreit habe, daß zwei die Quadratwurzel von vier und alles auf der Erde aus Atomen aufgebaut sei. Zu Hause saß er mit seinem Vater vor dem Kamin und sah zu, wie die Seele der Flammen mit den Fühlern über ein knisterndes Holzscheit tastete.
    Nach dem Tode seines Vaters sah der Letzte der Kitchawanken keinen Grund mehr, noch länger in der Reservation herumzuhängen. Seine Mutter, jene alte Feindin seines Stammes und Verräterin seines Vaters, nahm einen neuen Ehemann, ehe das Gras auf dem Grab gelb geworden war. Horace Tantaquidgeon, der ihn jagen und fischen und tönerne Kochtöpfe brennen gelehrt hatte, kehrte ihm den Rücken, als wäre mit dem Tod seines Vaters die alte Schuld beglichen. Jeremy hatte zwar die Schule abgeschlossen, ein Weißendiplom in der Tasche, dennoch stand er in Jamestown vor verschlossenen Türen. Hey, Häuptling, riefen ihm die Leute auf der Straße zu, wo ist denn dein Wigwam? He, du da, Geronimo! Nein, Jamestown konnte er vergessen. Daher war es für ihn eine ganz natürliche Entscheidung, seine Habe in ein Bündel zu packen – das Messer, das seinem Vater den Boden unter den Füßen weggeschnitten hatte, einen Schlafsack aus Bärenfell, zwei Streifen gedörrten Aal, eine zerlesene Ausgabe von Ruttenburrs Indianerstämme im Gebiete des Hudson und den Wirbelstrang eines Störs, den sein Vater immer um den Hals getragen hatte, als Erinnerung an die Charakterlosigkeit der Fische – und nach Osten zu gehen, am Susquehanna und am Delaware entlang, dann über die Catskill Mountains zur Bear Mountain Bridge, jener funkelnden Krone moderner Technologie, und über den sagenumwobenen Strom in die Hügel von Peterskill.
    Es überraschte ihn beinahe, daß auf diesen Hügeln Häuser standen, daß die Straßen mit Ziegel- und Kopfstein gepflastert waren und sich überall Autos und Telegrafenmasten aneinanderreihten. Wer so wie er mit Legenden gespeist worden war, erwartete anderes. Wenn schon nicht tauschimmernde Wälder, frei dahinströmende Bäche und offene Lagerfeuer, dann doch zumindest einen verschlafenen holländischen Weiler mit auf der Straße dösenden Hunden und einer mittäglichen Stille, die einem bis ins Mark drang. Er wurde bitter enttäuscht. Denn 1927 fieberte Peterskill noch im klirrenden Taumel der industriellen Revolution: alles arbeitete, daß die Fetzen flogen, und die Dollars sprudelten nur so; für einen Indianer aus der Reservation war es ein schmutziges Gewimmel, das Inferno schlechthin. Andererseits kein übler Ort zum Untertauchen. Keiner erkannte einen Indianer auf der Straße. Es wußte ja keiner, was Indianer überhaupt waren. Hier kannte man Polacken, Spaghettis, Slawomirs, irische Suffköppe, Krämerjuden, gelegentlich sah man auch mal einen Nigger – aber einen Indianer? Indianer trugen Stirnbänder und komische Unterhosen und wohnten in Tipis drüben im Westen.
    In den Arbeitshosen und dem ausgebleichten Flanellhemd aus der Reservation, das Haar kurz geschoren mit der Klinge, die in seinem Vater gesteckt hatte, erschien Jeremy eines Morgens um 7.00 Uhr am Tor der Gießerei Van Wart und fragte nach

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