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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Gleisen entlang; sein Jackett war zerfetzt und schwer von Schnee, der Riemen des linken Fußes hatte sich gelockert. Er blieb nicht stehen, peitschte sich immer weiter, erwartete ständig, die Schritte des Indianers hinter sich zu hören, rechnete damit, daß der Irre aus der Finsternis hervorhechtete und sich auf ihn warf, seine Kehle packte, sein Ohr ...
    Der Schnee war hart wie ein Strafgericht. Wieder ging er zu Boden, und diesmal kam er nicht mehr hoch – er war außer Atem, außer Form, er war ein Krüppel. Er hatte Seitenstechen. Seine Lungen brannten wie Feuer. Er würgte. Und dann kam es heraus, alles auf einmal, Bier, Pastrami, Artischockenherzen, Krapfen, das Cordon bleu und der Dosenspargel. Die Hitze des Breis stieg ihm ins Gesicht, und er stieß sich weg, flog rücklings in den Schnee wie ein Toter.
    Später, als die Kälte ihn zwang, sich zu rühren, versagten seine Finger den Dienst. Die Prothese, beide Prothesen waren locker, und er konnte die Riemen nicht mehr festziehen. Als er endlich wieder stand, spürte er den Boden nicht. Er spürte, daß seine Fingerknöchel bluteten, spürte die Enge in der Brust, aber die Erde unter seinen Füßen spürte er nicht. Und das war schlimm, sehr schlimm. Denn die Erde war tief verschneit, der Schnee türmte sich immer mehr auf, und nichts sah aus wie gewohnt. Er wußte, daß er zu seinem Auto gelangen mußte. Aber in welche Richtung? Hatte er die Gleise überquert? Und wo war der Bahnhof? Wo waren die Lichter?
    Er ging in eine Richtung los, die wohl stimmte – sie mußte einfach stimmen –, aber er spürte den Boden nicht und fiel hin. Die Kälte begann zu schmerzen, diese Kälte, die fünfundzwanzig Grad wärmer war als die in Barrow, und er rappelte sich wieder auf. Vorsichtig, methodisch, einen Fuß vor den anderen setzend und mit weit ausgebreiteten Armen balancierend, ging er von neuem los. Zählte die Schritte – drei, vier, fünf, und wo war das Auto? –, aber gleich ging er wieder zu Boden wie ein Klotz. Er stand noch einmal auf und stürzte beinahe im selben Moment wieder vornüber. Und noch einmal. Schließlich begann er zu kriechen.
    Und während er kroch, während seine Hände und Knie abstarben wie seine Füße, hörte er das erste zaghafte Wimmern. Er hielt inne. Seine Gedanken waren durcheinander, und er war erschöpft. Er hatte vergessen, wo er sich befand, was er getan hatte, wohin er wollte, warum er hergekommen war. Da war es wieder. Das Wimmern schwoll an zum Schluchzen, zum Schrei, zu einem Klageruf des Protests und des Jammers. Und schließlich erhob es sich, gellend und trostlos, jenseits aller Hoffnung und Versöhnung, zu einem Heulen.

DER ERBE
    Eigentlich mußte er gar nicht in die Firma kommen. Um diese Jahreszeit war die Auftragslage stets flau, und selbst wenn sie mehr zu tun gehabt hätten, selbst wenn ein neuer Weltkrieg ausgebrochen wäre und sie rund um die Uhr Aluminium kochen und Schwingzeuge gießen müßten, hätten sie ihn dazu nicht gebraucht – höchstens vielleicht, um alle vierzehn Tage die Lohnschecks abzuzeichnen. Er war überflüssig, und niemand wußte das besser als er selbst. Olaffson, der Produktionsmanager, würde mit einem zehnmal höheren Umsatz fertig, ohne auch nur das Hirn anzuknipsen, und der Bursche, den sie als Ersatz für Walter in der Werbe- und Verkaufsabteilung gefunden hatten, war ein Naturtalent. Jedenfalls sagten sie das. Tatsächlich hatte er den Jungen noch nicht einmal gesehen.
    Aber Depeyster gefiel es im Büro. Er hielt gerne ein Nickerchen auf der Ledercouch oder genoß einen Taschenbuchkrimi im satten Schein der Leselampe aus Messing mit dem grünen Glasschirm. Er mochte den Geruch des Schreibtischs, das Geräusch des elektrischen Bleistiftanspitzers und die Art, wie der schwere Stuhl aus Walnußholz auf den leisen, glatten Rollen über den Teppich glitt und die Lehne sich jeder Bewegung des Oberkörpers anpaßte. Zu Mittag nahm er sich gern zwei Stunden Zeit zum Essen; oft verschwand er danach, um mit LeClerc Outhouse eine Runde Golf zu spielen – oder, wenn das Wetter es erlaubte, nach Cold Spring hinaufzusegeln und sich dort in Gus’ »Antique Bar« einen Martini pur zu genehmigen. Am wichtigsten aber war ihm, daß er aus dem Haus kam, sich produktiv und nützlich fühlte, eben das Gefühl hatte, den Tag so verbracht zu haben wie ein normaler Mensch.
    Jetzt saß er vor einer Tasse eiskaltem Kaffee, und während er abwesend in einer Zeitschrift blätterte, sah er zum Fenster

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