Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
war ein Begräbnis ohne Pfarrer, ohne Predigt gewesen. Hesh Solovay hatte irgend etwas vorgelesen – atheistisches Gewäsch, das den Trauergästen ungefähr soviel Trost spendete wie der Dauerregen –, und damit hatte sich’s. Kein Asche zu Asche, kein Staub zu Staub. Der arme Junge war einfach in die Erde gekippt worden und fertig.
    Angeblich war er schon über zwölf Stunden tot gewesen, als sie ihn fanden. Am Spätnachmittag, als der Sturm vorbei war und alle fleißig schaufelten. Fast ein halber Meter Schnee war gefallen, und der Wind hatte ihn mehr als drei- oder viermal so hoch zu Wächten geweht. Niemand dachte sich etwas bei dem zugeschneiten Auto, und wenn nicht zwei Sechstkläßler ein Iglu gebaut hätten, wäre er überhaupt nicht gefunden worden – jedenfalls nicht bevor der Regen die Schneewehen geschmolzen hatte. Die Fabrik war geschlossen, die Schulen waren geschlossen, alles war geschlossen, und an diesem Nachmittag redeten alle über nichts anderes als die Arcadia , die vor Gees Point auf Grund gelaufen war, und daß die Polizei davon ausging, es sei Sabotage gewesen. Depeyster und LeClerc und ein paar Freunde feierten das traurige und unverhoffte Ende jenes edlen Segelschiffs gerade mit einem Freudenfeuer im Kamin und einer Flasche Piper-Heidsieck, als sie telefonisch von Walters Tod erfuhren. Einen Zusammenhang stellte keiner her. Anfangs jedenfalls nicht. Aber Depeyster wußte, was geschehen war, wußte es mit solcher Sicherheit, als wäre er selbst dabeigewesen. Walter hatte es getan, hatte es für ihn getan.
    Depeyster war zum Heulen zumute gewesen. Als er in der Halle stand, den kalten schwarzen Hörer in der Hand, die fragenden Blicke von LeClerc und den anderen aus dem Salon auf sich gerichtet, war er zutiefst getroffen. Walter hatte sich geopfert. Für ihn. Für Amerika. Um den dreckigen Juden und Atheisten, die seine Kindheit vergiftet und irgendwie dieses großartige, leidende Land in ihren Würgegriff bekommen hatten, einen Schlag zu versetzen. Es war eine Tragödie. Wirklich, das war es. Es war Sophokles. Es war Shakespeare. Und der Junge war, war – er war ein Held, genau das war er. Ein Patriot. Er hatte weinen wollen, er war wirklich knapp davor gewesen, hatte an die Vergeudung, an Walters trauriges und unglückliches Leben gedacht und an das traurige, unglückliche Leben seines Vaters vor ihm, und er hatte etwas in seiner Kehle aufsteigen gespürt, das vielleicht der Anfang gewesen wäre, und in seiner Brust hatte er auch etwas gespürt. Aber er hatte nicht die Gewohnheit zu weinen. Hatte wahrscheinlich seit seiner Kindheit nicht mehr geweint. Der Augenblick ging vorüber.
    »Dipe?« Marguerite war immer noch dran.
    »Hm?«
    »Bist du noch da?«
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich habe gerade an was anderes gedacht.«
    »Also, was ist, soll ich die Sache perfekt machen?«
    Natürlich sollte sie die Sache perfekt machen. Das wünschte er sich mehr als alles andere im Leben. Außer einen Sohn. Seinen Sohn. Der heute fällig war. »Ja, sicher«, sagte er und sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten. Vielleicht hatte Joanna durchzukommen versucht, vielleicht hatte er ihren Anruf verpaßt, vielleicht – »In Ordnung, Marguerite, also du erledigst das. Ich muß jetzt auflegen. Ciao.«
    Und dann rief er zu Hause an.
    Der Regen hatte aufgehört. Die Straßen waren frei. Depeyster Van Wart, der zwölfte Erbe von Van Wart Manor und baldige Besitzer von zwanzig unverfälschten Hektar Ahneneigentums, auf denen nur eine einzige dürftige, baufällige Bude störte, die an einem guten Tag ohne weiteres der Wind wegpusten konnte, ging auf dem abgenutzten grauen Teppich der Entbindungsstation des Peterskill Community Hospital auf und ab. Joanna war irgendwo da drinnen, hinter der großen doppelten Schwingtür, an ihr Bett geschnallt und sediert. Bei der Entbindung gab es ein Problem, soviel er wußte, soviel hatte ihm Flo Deitz – Schwester Deitz – gesagt, als sie auf einem ihrer hundert Botengänge, wohin auch immer, durch die Tür gefegt war. Das Baby – sein Baby, sein Sohn – hatte die falsche Geburtslage. Sein Kopf war nicht dort, wo er sein sollte, und sie konnten ihn anscheinend nicht herumdrehen. Sie würden einen Kaiserschnitt machen müssen.
    Depeyster setzte sich. Er stand wieder auf. Er sah aus dem Fenster. Er verrieb Staub auf seinem Zahnfleisch. Wenn die Schwingtür aufging, fuhr er jedesmal hoch. Er sah Korridore, Rollbetten, Schwestern in grünen Kitteln und Gesichtsmasken, und er

Weitere Kostenlose Bücher