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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hinaus auf den Parkplatz und bemerkte, daß es regnete. Schon wieder. Seit diesem verrückten Schneesturm vor zwei Wochen schien es Tag für Tag zu regnen. Der Pflug hatte damals eine anderthalb Meter hohe Schneemauer am Ende des Parkplatzes aufgetürmt, aber jetzt waren nur noch vereinzelte Häufchen von schmutzigem Matsch übrig. Auf einmal hatte er eine grauenhafte Vorahnung: daß der Regen gefrieren und die Straßen vereisen könnten wie eine Bobbahn; er würde im Büro festsitzen, weit weg von zu Hause, und niemand wäre da, um Joanna in die Klinik zu bringen.
    Er riß eine Schublade auf und wälzte das Telefonbuch. »Wetterbericht«, murmelte er, »Wetterbericht, Wetterbericht.« Er blätterte in dem Buch und murmelte vor sich hin, bis er aufgab und die Nummer von Miß Egthuysen wählen ließ. Eine verbindliche, gleichgültige Tonbandstimme kam knisternd aus dem Hörer: »... lassen die Regenfälle in der zweiten Tageshälfte nach. Die Temperaturen bleiben weiterhin über dem Gefrierpunkt, in höheren Lagen muß mit Nachtfrost gerechnet werden.«
    Im nächsten Augenblick umkreiste er nervös den Schreibtisch und kämpfte, halb wahnsinnig vor Sorgen, gegen den heftigen Wunsch, schon wieder zu Hause anzurufen. Das letzte Mal war keine fünf Minuten her, und Lula hatte auf ihre lakonische Art ihr Bestes getan, um ihn zu beruhigen. Alles sei in Butter, hatte sie gesagt. Joanna ruhe sich gerade aus. Es sei besser, sie jetzt nicht zu stören.
    »Die Fruchtblase ist also noch nicht gesprungen, nein?« hatte er gefragt, nur um den Klang der eigenen Stimme zu hören.
    »Nö.«
    Schweigen in der Leitung. Er wartete auf Einzelheiten, auf das neuste Bulletin über Joannas Zustand, heute war doch der Tag, wußte sie das denn nicht, zum Teufel? Wußte sie etwa nicht, daß Dr. Brillinger den Termin ausgerechnet hatte, bis auf den Tag genau – bis auf den heutigen Tag? Ins Büro war er nur deshalb gefahren, weil Joanna gesagt hatte, es mache sie nervös, wenn er alle zwei Minuten den Kopf zur Tür hereinstecke. Kreidebleich bis zum Haaransatz hatte sie seine Hand gedrückt und ihn gefragt, ob er nicht lieber in die Firma oder in ein Restaurant oder ins Kino gehen wolle – irgendwohin, wo ihm die Zeit rascher verging. Er solle eine Nummer hinterlassen, das sei genug. Sie würde ihn anrufen. Keine Angst, sie würde anrufen.
    »Nö«, hatte Lula wiederholt, und er war sich ein wenig kindisch vorgekommen.
    »Aber du rufst mich an«, hatte er gesagt. »Sofort, wenn irgend etwas passiert, ja?«
    Lulas tiefe, volltönende, langsame Stimme. »Mm-mmh, Misser Van Wart, sofort wenn was passiert.«
    »Ich bin im Büro.«
    »Mm-mmh.«
    »Also dann«, hatte er gesagt. Und weil er sonst nichts damit tun konnte, hatte er den Hörer wieder auf die Gabel gelegt.
    Nein, er konnte nicht schon wieder anrufen. Noch nicht. Er würde eine halbe Stunde warten, oder nein, eine Viertelstunde. Mein Gott, war er fertig. Er sah wieder in den Regen hinaus, versuchte sich hypnotisieren zu lassen, seine Gedanken freizumachen, aber er mußte immer wieder an Glatteis denken. Mit zitternden Händen griff er in die Brusttasche nach dem Umschlag mit dem Kellerdreck, fuhr mit dem angefeuchteten Finger hinein und rieb sich den feinen, uralten Staub auf die Vorderzähne, massierte ihn ins Zahnfleisch wie eine Droge. Er befühlte ihn mit der Zungenspitze, rollte ihn genüßlich gegen den Gaumen zu einem kleinen Kügelchen, schob ihn auf die Backenzähne und zermahlte ihn langsam. Er schloß die Augen und schmeckte seine Jugend, schmeckte seine Eltern, schmeckte Sicherheit. Er war wieder ein kleiner Junge, der sich im kühlen, behaglichen Dunkel des Kellers versteckte, und dieser Keller war seine Seele, die Verkörperung aller vergangenen und künftigen Van Warts, und er spürte, wie Frieden ihn durchfloß, bis er vergaß, daß die Welt existierte.
    Und dann klingelte das Telefon. Mit einem Satz war er da.
    »Ja?« keuchte er. »Ja?«
    Aus dem Hörer flötete Miß Egthuysen munter: »Marguerite Mott auf Apparat zwo.«
    Marguerite Mott. Er brauchte einen Augenblick. Der Nachgeschmack des Kellerstaubs verblich langsam, und die vertrauten Konturen seines Büros nahmen wieder Gestalt an. Ja. Natürlich wollte er das Gespräch annehmen. Er drückte den Knopf.
    »Dipe?« Ihre Stimme war ein fernes Krähen.
    »Ja? Marguerite?«
    »Wir haben es.«
    Er verstand nicht. Was hatten sie? Hatte Joanna schon entbunden? In einer plötzlichen Vision sah er Marguerite, in

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