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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sweatshirts, auf deren fülligen Bäuchen Reproduktionen der Arcadia krängten, hindurchgezwängt hatte, sah er sie besser. Sie trug ein altmodisches Kattunkleid mit Rüschen und Schulterpolstern, ihr Haar war zu Zöpfen geflochten, und auf ihren Lippen lag ein Lächeln reinster Wonne. Den Kerl, mit dem sie tanzte, kannte er nicht, aber es war nicht Tom Crane. Plötzlich sehr aufgeregt, wich er von dem Heizstrahler zurück ins Dunkel. Er fühlte, wie seine Miene sich verzerrte, und schleuderte das Bier wütend zu Boden. Im nächsten Moment war er wieder draußen.
    Der Schnee schien jetzt stärker zu fallen, und es war Wind aufgekommen, der die Flocken tanzen und umherwirbeln ließ. Walter ging vorne am Zelt vorbei und verschwand in den tiefen Schatten hinter dem Wohnhaus gegenüber. Dort lehnte er sich gegen die Mauer, zündete sich mit bereits wieder zitternden Händen eine Zigarette an und beobachtete. Er beobachtete, wie die Party allmählich ausklang und zu Ende ging. Er beobachtete, wie Leute einander auf die Schulter klopften und zum Himmel gestikulierten, er hörte, wie sie sich mit herzlichen, bierseligen Stimmen unterhielten, sich gegen den Wind stemmten und zu den entlang der Straße und auf dem Parkplatz abgestellten Wagen davonzogen. Er beobachtete, wie ein ältliches Ehepaar in Partnerlook-Regenmänteln an ihm vorbei den Hügel hinaufstapfte, er beobachtete, wie Tom Crane wie eine große hagere Spinne umherstakste. Tom, dessen Jeansjacke so klatschnaß war, daß sie ihn fast zu Boden zog, wankte durch das Gewühl und ins Zelt hinein. Er beobachtete auch Mardi – sie ging mit einem Typ davon, der einen bunten Umhang, Stiefel und einen Sombrero trug, als wäre er auf dem Weg zu einem Kostümfest. All das beobachtete er, und immer noch wußte er nicht, warum er hergekommen war. Dann sang Will Connell »We Shall Overcome«, Automotoren wurden angeworfen wie beim Start eines Grand-Prix-Rennens, und Tom und Jessica kamen mit eingehakten Armen aus dem Zelt geschlendert.
    Wie Verliebte.
    Wie Verliebte in einem Traum.
    Walter beobachtete sie, als sie die Menge hinter sich ließen und auf den Hafen zugingen – zum Schiff. Und dann begriff er: sie erlebten die Romantik des Sturms, die Romantik der Weltverbesserer und Sumpflilienbeschützer, der Langhaarigen und der Auch-die-andere-Wange-Hinhalter, die Romantik von Frieden und Brüderlichkeit und Gleichheit, und nun brachten sie ihre müden, rechtschaffenen Seelen in der Romantik der Schaluppe zu Bett. Mit einem Schlag wußte er, warum er hergekommen war. Mit einem Schlag wußte er es.
    Es dauerte eine Stunde, bis es endgültig vorbei war. Mindestens. Tontechniker, Müllsäckeschlepper, Bummler und Kiebitze, sie alle wuselten vor dem Zelt durcheinander, als kämen sie gerade aus einer Off-Broadway-Premiere. Walter, mittlerweile völlig durchgefroren, tastete sich irgendwann zurück zu seinem MG – er fand ihn kaum wieder, so wild war das Schneetreiben geworden –, um sich dort an der Heizung dürftig zu wärmen und ihnen Zeit zu lassen. Er rauchte. Hörte Radio. Spürte, wie das Jackett an den Schultern zu kneifen und an den Ärmeln zu schrumpfen begann, während die Nässe herausdampfte. Eine Stunde. Die Windschutzscheibe war zugeschneit, seine Fußspuren ausgelöscht. Er nahm sich das unheimliche, löffeiförmige Licht des Bahnhofs als Ziel und überquerte zum drittenmal an diesem Abend den Parkplatz.
    Auf dem Schiff war es dunkel, der Hafen menschenleer. Schwer atmend stand er auf dem verschneiten Pier, der modrige, feuchte, verschmutzte Atem des Flusses schlug ihm ins Gesicht, die Schaluppe ragte über ihm auf wie ein uralter Geist, wie ein vom schlammigen Grund heraufgezerrter Freibeuter, wie ein Gespensterschiff. Mit Hunderten von Zungen wispernd, knarrend, ächzend drängte sie mit dem Zug der hereinkommenden Flut vom Pier fort, und der Pier ächzte mit. Drei Leinen hielten sie fest. Drei Leinen, mehr nicht. Eine achtern, eine mittschiffs und eine am Bug. Drei Leinen, um die Poller geschlungen. Mit Schiffen, mit Klampen und Halbmastwürfen und mit dem dunklen Sog des Flusses kannte sich Walter recht gut aus. Er wußte, was er tat. Er rieb sich die Hände, um die Steifheit aus ihnen zu vertreiben, dann griff er nach der Heckleine.
    »Ich würde es nicht tun«, begann eine Singsangstimme hinter ihm.
    Er brauchte sich nicht einmal umzudrehen. »Geh nach Hause, Großmutter«, flüsterte er. »Laß mich in Ruhe.«
    »Es steckt in den Knochen«, sagte sein

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