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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Vater, und da stand er, klobig und mit breitem Kopf, der Schnee bedeckte sein Gesicht wie ein Schal. Er beugte sich über den Poller mittschiffs und zerrte an der Leine.
    »Laß das!« rief Walter und erschrak beim Klang der eigenen Stimme, dann stakste er den Pier entlang und mitten durch den Alten hindurch, als wäre er gar nicht da. »Laß das«, knurrte er, während er um den Poller herumhüpfte wie eine Marionette am Schnürchen, »das hier ist meine Sache, das geht nur mich was an.« Er hob die Hand zum Mund, lutschte an der schwarzen Blutkruste, die an den Fingerknöcheln angefroren war. Und dann, in heller Wut, riß er die Schlinge von dem Poller und ließ die Leine ins Wasser fallen.
    Er richtete sich auf. Gelächter. Er hörte Gelächter. Lachten die etwa über ihn, war es möglich? Sein Mund kniff sich zusammen. Er blinzelte in den stiebenden Schnee. Weiter vorn sah er undeutlich eine Bewegung, das Huschen von kläglich kurzen Beinen und verwachsenen Füßen, von Liliputanerhänden, die sich an der Bugleine zu schaffen machten. Er hörte ein Klatschen, vom Schnee und der Entfernung gedämpft, und dann schwang die Schaluppe frei herum, wie eine Kompaßnadel, bis sie auf den offenen Fluß hinaus wies, jetzt nur noch von der straffen Leine am Heck gehalten.
    Er brauchte einen Augenblick dafür. Einen langen Augenblick. Er ging auf dem Pier zurück und stand vor dieser letzten dünnen Leine, und die Leine wurde zu einem bunten Geschenkband, zur Schleife um ein kleines Pony-Parilla-Motorrad, er brauchte nur zu ziehen – nur einmal daran zu ziehen –, und schon war die Bescherung da. Er wandte ruckartig den Kopf. Nichts. Kein Vater, keine Großmutter, keine Gespenster. Nur Schnee. Was hatte er denn hier gewollt – an Bord gehen, mit ihnen in die Koje klettern, die Sumpflilien retten und einer von den Guten werden, ein Idealist, einer der Getreuen und Standhaften? War das der Grund gewesen? Der Gedanke war so bitter, daß er laut auflachte. Dann zog er an der Schleife.
    Der Augenblick verhielt in der Schwebe – absolute Stille, die bedächtige Grazie von sich sammelnder Bewegung –, dann glitt sie davon, ihre zweiunddreißig Meter und zwölf Tonnen entschwanden seinem Blick wie eine Gestalt im Traum. Sie folgte ihrem Bug und der Flut, trieb hinaus auf den unsichtbaren Fluß, hielt scharfen Kurs auf Gees Point und die gespenstischen, unvordenklichen schwarzen Tiefen von World’s End. Er sah ihr hinterher, bis der Schnee sie verbarg, dann drehte er sich um.
    Er zitterte – vor Kälte, vor Angst, vor Aufregung und Erleichterung –, und er dachte an sein Auto. Beinahe versonnen sah er noch einmal in die Nacht hinaus, über die Schulter blickte er durch die schneidende Schraffur des Schnees in die Leere dahinter, dann wandte er sich zum Gehen. Doch der Pier war rutschig, und seine Füße verweigerten den Dienst. Bevor er einen Schritt machen konnte, kam die harte weiße Fläche des Piers auf ihn zugeflogen, und er schlug mit einem Krach auf, der wie Donner durch die Nacht zu hallen schien. Und dann geschah das Unerwartete, das Unerklärliche, dieser kleine Vorfall, der ihn mit Entsetzen vollpumpte: ein Licht ging an. Ein Licht. Dort drüben am Ende des Piers, zehn Meter entfernt, eine jähe Entweihung der Nacht, des Flusses, des Sturms. Er blieb mit hämmerndem Herzen liegen und hörte Geräusche von weiter unten: leise, gedämpfte Geräusche.
    Und dann sah er ihn – den langen Schatten eines Schiffes, das auf der anderen Seite des Piers angelegt hatte, jetzt ging ein zweites Licht an, schon wesentlich näher. Mühsam versuchte er aufzustehen, bekam kaum Luft vor lauter Panik, und wieder rutschten die Füße unter ihm weg. »Hey!« rief eine Stimme, und zwar direkt neben ihm. Auf dem Schiff stand ein Mann, ein Mann mit einer Taschenlampe, und als das Schiff sich jetzt aus den Schatten schälte, wurde Walter starr vor Schreck. Er kannte es. Er kannte dieses Schiff. Wirklich. Yachthafen Peterskill. Halloween. Diese schwimmende Latrine mit dem Penner an Bord, dem Indianer – wie hatte Mardi ihn genannt?
    Jeremy. Sie hatte ihn Jeremy genannt.
    Plötzlich war er auf den Beinen und rannte – stolperte, hastete, hetzte, stürzte sich kopfüber in die Nacht –, während ihn die Stimme von hinten ansprang. »Hey?« rief sie, und es klang wie ein Jagdhund beim Stellen der Beute. »Hey, was ist da los?«
    Walter wußte nicht, wie oft er hingefallen war, als er das Ende des Piers erreichte und sich rechts hielt, an

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