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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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unten am Fluß?«
    Er sah sie dumpf an: möglich, daß er sich erinnerte, vielleicht auch nicht. In jener Nacht war eine Menge passiert. Plötzlich, es machte ihn wahnsinnig, verspürte er ein furchtbares Jucken in seinem fehlenden Fuß.
    Sie suchte nach etwas in ihrer Ledertasche. Walter sah einen Kamm, einen Spiegel, einen Lippenstift. »Ich meine unsere Verabredung.« Sie fand, wonach sie suchte – Zigaretten –, schüttelte eine aus der Packung und zündete sie an. Walter schwieg und beobachtete sie, als hätte er noch nie zuvor ein Streichholz oder eine Zigarette gesehen. »Mein Vater hat ein Segelboot«, sagte sie. »Darin fahre ich mit dir zu den Geisterschiffen raus.« Sie sah ihn an, und ihre Augen waren kalt und hart wie Murmeln. Er spürte die ersten schweren Regentropfen durch den Hemdrücken. Dann donnerte es grollend. »Du hast das doch nicht vergessen?«
    »Nein«, log er. »Nein, nein«, und in diesem Moment wußte er, daß er sie beim Wort nehmen würde. Er wußte, daß er zurückkehren und auf den öden, verrotteten Decks herumgehen würde, so wie er zu der Gedenktafel zurückgekehrt war und sehnsüchtig und verwirrt davorgestanden hatte; er wußte, daß er auf irgendeine beängstigende, unfaßliche Weise an sie gekettet war.
    »Wie fühlt er sich an?« fragte sie unerwartet.
    »Wer?« sagte er, aber eigentlich war die Frage unnötig.
    »Na ja, dein Fuß.«
    Der Regen fiel jetzt stärker, in dicken, trächtigen Tropfen, die ihn auf der Kopfhaut kitzelten und seine Wangen hinabrannen. Er zuckte die Achseln. »Überhaupt nicht«, sagte er. »Er fühlt sich tot an.«
    Und dann, er wollte sich gerade umdrehen und zu den anderen hinübertrotten, die sich unter dem undichten Dach von Tom Cranes Veranda zusammendrängten, griff sie nach seinem Arm und zog ihn an sich. Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. »Kann ich ihn sehen?«
    Der Donner rollte durch die Bäume, ein Blitzschlag ließ die Äste der großen Weißeiche aufleuchten, die sich über ihnen wanden. Er war sich nicht klar, was er für ein Gesicht machte, aber offenbar drückte es seine Gefühle deutlich aus. Sie ließ ihn los. »Nicht jetzt«, hörte er sie sagen, als er sich abwandte. Er stapfte durch den prasselnden Regen, und wieder tanzten sie ihm vor den Augen: die Nebelschleier, die Gedenktafel und der rasch vorbeiflitzende Schatten. »Ich meine ja nicht jetzt.« Er ging weiter. »Walter!« rief sie. »Walter!« Er hatte die Ecke der Hütte erreicht und konnte schon Jessica, Tom und Hector sehen, die sich rechtzeitig unter den Dachvorsprung geflüchtet hatten, als er stehenblieb und über die Schulter zurücksah. Dort stand Mardi, gleichgültig gegen den Regen. Das nasse Haar klebte ihr im Gesicht, die Hände waren flehentlich ausgestreckt. »Nicht jetzt«, wiederholte sie, und über ihr brach der Himmel entzwei.

MIT DEM SEGEN
DES PATROON
    Pastor Van Schaik, noch ohne eigene Kirche, mußte für die Taufe den ganzen Weg zum Hof der Van Brunts zu Fuß gehen. Die Nacht davor hatte er auf einem Strohlager im oberen Gutshaus zugebracht, und sein Frühstück war Wasser und Zwieback gewesen, ehe er bei Tagesanbruch einen Gottesdienst für Vrouw Van Wart gehalten hatte, gefolgt von zwei harten Stunden des Gebets und der Meditation (hart war gar kein Ausdruck – diese Frau war eine Fanatikerin). Er spürte noch jedes Amen in den Knien, während er über den primitiven Steg wankte und sich den steilen, steinigen Pfad zum Hof hinaufmühte.
    Es war Ende September, trotz der Wolken war es warm – sogar drückend schwül –, und nach der Hälfte des Anstiegs mußte er sich einen Augenblick hinsetzen und neben dem Bach ausruhen, der entlang des Pfades, gesäumt von Farnkraut und Stinkkohl, dahinplätscherte. Die Farmer der Gegend, fiel ihm ein, nannten das Rinnsal aufgrund irgendeines Aberglaubens Blood Creek, da gab es angeblich einen Kindesmörder, der in den Wäldern umherstreifte. Ländlicher Aberglaube machte wenig Eindruck auf den Pastor, der ein Anhänger des Franciscus Gomarus war und stets auf dem Pfad der Rechtschaffenheit wandelte, dennoch mußte er bekennen, daß dieser Wald besonders düster und unselig wirkte. Woran lag das? Die Bäume stehen wohl dichter, vermutete er, das Licht ist schwächer hier. Und es schien ungewöhnlich viele tote Stämme zwischen den gesunden Bäumen zu geben, große Giganten der Kreidezeit, die sich bedenklich an ihre kraftstrotzenden Nachbarn lehnten oder flach auf dem Boden lagen – mit in Fetzen

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