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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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befindet.«
    Jeremias ging die acht Meilen nach Croton zu Fuß. In seinen schmutzigen, blutverschmierten Kleidern, mit Gras und Blättern im Haar und einer Gesichtshälfte, die zur doppelten Breite angeschwollen und mit einem Umschlag aus Schlamm und Heilkräutern bedeckt war, den Katrinchee nach Art der Weckquaesgeeks auf die offene Wunde gepackt hatte. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, als wäre er ein Dieb oder ein Mörder mit der Axt, und ein um seine Hüfte geschlungener Strick verband ihn mit dem Sattelknauf des schout. Es war ein beschwerlicher Weg. Immer wieder trabte das Pferd unerwartet an und riß ihn mit nach vorn, dann blieb es plötzlich fast stehen, was ihn zwang, nach rechts auszuweichen, wollte er einen Aufprall vermeiden, wobei sich der Holzpflock wie ein Stachel in den Stumpf seines Beins bohrte. Jeder andere hätte sich beklagt, nicht aber Jeremias. Mochten die Stiche der Viehbremsen und Moskitos ihn tanzen lassen, mochte er nach dem Blutverlust und vor Durst benommen sein, mochte die Wunde, die über seinem rechten Auge begann, den Knochen darunter freilegte und das Fleisch bis hinunter zum Kiefer klaffen ließ, sich anfühlen, als steckten glühende Nadeln darin, er sagte kein Wort. Nein: er konzentrierte sich auf die langsamen, schiebenden Bewegungen der Flanken des Kleppers und trat beiseite, wenn das Tier seine Notdurft verrichtete.
    Neeltje ritt auf ihrer Stute voran. Ihr Vater hatte ihr mit metallischer Stimme befohlen, einen so großen Abstand zwischen sich und dem Gefangenen einzuhalten, wie es die Umstände erlaubten. Anfangs hatte sie protestiert – »Er ist doch bloß ein Junge, vader: er ist verletzt, und er leidet« –, aber die harte, kalte Stimme hatte sich um sie geschlossen wie eine Falle aus Stahl. Resigniert ritt sie nun voraus – etwa zehn Meter vor ihrem Vater –, doch sah sie immer wieder über die Schulter und warf Jeremias einen Blick so voller Zärtlichkeit zu, daß er glaubte, er müsse auf der Stelle ohnmächtig werden. Entweder das, oder weitermarschieren, bis er den Erdball sechsmal umrundet hätte, hinter sich eine so tiefe Schleifspur, daß man einen Wagen hindurchlenken könnte.
    Wie sich zeigen sollte, marschierte er weiter. Vorbei an der Abzweigung nach Verplanck’s Landing und am Fluß entlang, wo es kein bißchen kühler war, durch Wiesen und Wälder, die er nie zuvor gesehen hatte, den ganzen Spätnachmittag über und in die Stille des Abends hinein. Er fixierte das hypnotisierende Auf und Ab der Pferdehufe, war nicht mehr achtsam genug, um den Dunghaufen auszuweichen, die das Tier ihm in den Weg warf, als sie um eine Biegung kamen und ihr Ziel erreicht hatten. Verwirrt sah er auf. Das untere Gutshaus mit seinen hohen Giebeln erhob sich beherrschend aus der Wiese vor ihm, mit einer weitläufigen Veranda davor und einem Steinkeller darunter, der allein schon halb so groß war wie das Haus in Van Wartville. Der schout stieg ab, befreite Jeremias’ Hände, indem er grob an den Fesseln zerrte, riß eine Tür zum Keller auf und stieß ihn in eine Zelle von der Größe eines Planwagens. Die Tür schloß sich, und es war finster.
    Ein leises Rasseln von draußen weckte ihn auf, das Klirren eines Schlüssels im Schloß, und dann flutete das grelle Morgenlicht herein, als die Tür in ihren rostigen Angeln knarrte. Eine Schwarze, deren Gesicht noch die Tätowierungen ihres verlassenen, fernen Stammes schmückten, stand in der Tür. Sie trug ein gewebtes Kleid, eine gebänderte Haube nach Art der Bauersfrauen von Gelderland bis Beverwyck und ein makelloses Paar Holzschuhe. »Friistick«, sagte sie und reichte ihm einen Becher Wasser, ein Stück Käse und einen kleinen, noch ofenwarmen Laib Brot. Er sah, daß er in einer Gerätekammer war, an den unebenen Wänden hingen hölzerne Harken, Schaufeln, ein vermoderndes Pferdegeschirr, ein Dreschflegel mit zersplittertem Klöppel. Dann krachte die Tür wieder zu, und er legte sich in das Stroh zurück, das den Lehmboden bedeckte, vertilgte sein Frühstück und starrte auf den Sonnenstrahl im Spalt zwischen der roh gezimmerten Tür und dem steinernen Rahmen.
    Die Sonne war untergegangen, als die Tür erneut geöffnet wurde, die Dunkelheit in der Zelle so pechschwarz, daß er vor der brennenden Kerze, die ihm plötzlich vors Gesicht gehalten wurde, die Augen bedecken mußte. Den ganzen endlosen Tag lang war er allein mit seinen Gedanken gewesen, in unruhigen Schlummer gesunken und immer wieder abrupt daraus

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