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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ätzender Sätze geraubt. Jeremias ließ den Kopf hängen. Die bodenlose Verachtung in der Stimme des Mannes – er hätte ebensogut von Schweinen oder Rindern reden können – sollte er bis an sein Lebensende nicht vergessen.
    Letztendlich aber behielten Verwalter und patroon ihren Willen, und Jeremias wurde als Pächter eingesetzt, auf eine Gnadenfrist von einem Jahr, was den Zins anging (dazu die Warnung, er werde mit gezücktem Degen vom Grundstück gejagt werden, wenn er am Ende dieser Frist in seinen Zahlungen auch nur einen Stüber schuldig bliebe), doch für Jeremias war es keineswegs ein Sieg. Nein: er verließ das Gutshaus in Schimpf und Schande, mit knurrendem Magen und schmutzigen Kleidern, das Mal des schout loderte auf seiner Wange, und die Worte des jongheer waren für immer in sein Herz eingebrannt. Er blickte nicht zurück. Nicht einmal, als Neeltje vor die Tür der Hütte ihres Vaters trat, um ihm stumm und mit feucht schimmernden Augen nachzusehen, als er den Weg hinaufhumpelte. Nicht einmal, als sie schließlich verletzt und verständnislos seinen Namen rief – nicht einmal das konnte ihn dazu bewegen, den Blick von dem ausgetretenen Weg zu heben, der vor ihm lag.
    Als Jeremias am nächsten Morgen eine Bestandsaufnahme seiner Lage vornahm, wurde ihm deutlich, daß die Alternativen begrenzt waren. Er war gerade siebzehn geworden. Er war einen Fuß kürzer gemacht und trug das Mal des Geächteten im Gesicht; seine Eltern waren tot, seine Schwester hatte ein Hirn wie ein Schmetterling, der Frost abbekommen hatte, und der weit aufgesperrte, hungrige Mund seines halbblütigen Neffen verfolgte ihn bis in den Traum. Was konnte er tun – den patroon und seinen hohnlächelnden Sohn vor Gott um Vergebung flehen lassen, nachdem er im winterlichen Wald verhungert war? Müde und unter Schmerzen (der Stumpf seines Beins brannte, als setzte sein Vater in diesem Augenblick die Säge an) stand er von dem feuchten Strohlager auf, aß ein paar Bissen Maisbrei und ging hinaus an die Arbeit. Er führte die unterbrochene Jätarbeit zu Ende, hackte dann anderthalb Klafter Brennholz, um den Klang der spöttischen Stimme des jongheer in seinem Kopf loszuwerden, und beschloß zwischen zwei ziellosen, ansonsten kaum bemerkenswerten Schlägen mit der Axt, seinen Neffen kirchlich taufen zu lassen und ihn zum Gemeindemitglied zu machen, zum Holländer und freien Bürger der New Yorker Kolonie.
    Als er Katrinchee diesen Einfall unterbreitete, senkte sie den Blick auf die Hände. Squagganeek saß auf dem Boden und musterte ihn mit Harmanus’ Augen. »Ich dachte, wir könnten ihn nach vader nennen«, schlug Jeremias vor.
    Davon wollte Katrinchee nichts wissen. »Ich war schuld«, flüsterte sie, dann erstarb ihre Stimme.
    »Na, wie wär’s denn dann mit ›Wouter‹?«
    Sie biß sich auf die Lippen und schüttelte langsam und bedächtig den Kopf.
    Zwei Tage später, als Jeremias vom Feld heimkam, lächelte ihn die Schwester über ein Blech mit aufgehendem Teig hinweg an. »Ich möchte ihn ›Jeremias‹ nennen«, sagte sie. »Oder wie heißt das bei den Englischen – ›Jeremy‹?«
    Der Nachname bot das nächste Problem. Einerseits war der Junge ein Van Brunt – man brauchte ihm nur in die Augen zu sehen –, andererseits aber wieder nicht. Und wenn er auf den Namen Van Brunt getauft würde, wen sollte der Pastor dann als Vater eintragen? Sie plagten sich einen sengend heißen Nachmittag und eine moskitosirrende Nacht lang herum: am Morgen kamen sie überein, daß der Junge nach seinem tatsächlichen Vater benannt werden sollte, der ja immerhin ein Häuptlingssohn war. Das war nur recht und billig. Jeremias ging die Kühe melken, dann ließ er Pastor Van Schaik holen.
    Es wurde September, bis der Pastor es schließlich auf den Hof schaffte, um die Taufe zu vollziehen, aber weder Katrinchee noch Jeremias kümmerte die Verzögerung. Da sie ihre Entscheidung einmal getroffen hatten, war es ebensogut, als wäre die Sache bereits erledigt. Jetzt war alles rechtens. Sie hatten das Schlimmste durchgemacht, waren verwaist und verlassen, waren vertrieben und gemieden worden, jetzt aber kehrten sie in die Gemeinschaft zurück, als ehrbare Leute in den Augen Gottes, der Menschen und des patroon gleichermaßen.
    Und so wurde es Herbst, die Tage neigten sich immer rascher der Nacht zu, es kam die Ernte, die nicht eben reichlich, aber auch nicht mager ausfiel, die einlullende Wärme des Altweibersommers wich dem kalten Biß der ersten

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