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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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scharfen Fröste. Dann, eines Nachmittags im später Oktober, Jeremias verbrannte gerade am Ende des Maisfelds einen Baumstumpf und dachte daran, wie Neeltjes Bluse sich an ihre Oberarme schmiegte, als ihn urplötzlich namenlose Ängste und vage Befürchtungen überfielen. Sein Puls beschleunigte sich, der Rauch biß ihm in die Augen, und er konnte spüren, wie die Narbe auf seiner Wange zum Leben erwachte. Keine zwei Tage vorher hatte er aufgeblickt, in der Hand einen halb gerupften Puter, die Finger klebrig von Federn, in Gedanken bis nach Croton hinüberschweifend, und auf einmal klar und deutlich die Gestalt seines Vaters gesehen, wie er in seinem dampfenden Nachthemd übers Feld wetzte. Jetzt aber, obwohl ihm das Blut in den Schläfen pochte und seine Kopfhaut kribbelte wie von unsichtbaren Fingern massiert, obwohl er über beide Schultern spähte und das Feld in alle vier Himmelsrichtungen absuchte, sah er nichts.
    Kaum hatte er sich jedoch wieder der Arbeit zugewandt, ließ ihn eine Stimme zusammenzucken, die aus dem Feuer zu kommen schien, als ob die Flammen selbst zu ihm sprächen. »Du da! Wer gibt dir das Recht, hier das Feld zu bestellen?« donnerte die Stimme in sehr schlechtem Holländisch. Jeremias rieb sich den Rauch aus den Augen. Und sah einen Mann – einen rotbärtigen Riesen, in Felle gekleidet, eine Holzfälleraxt über die Schulter geschwungen – rechts neben dem brennenden Stumpf stehen. Der Rauch waberte, und der Riese machte einen Schritt vorwärts.
    Jeremias konnte ihn jetzt deutlicher sehen. Sein Gesicht war schwarz verschmiert wie das eines Bergmanns, er trug lederne Steghosen nach Indianerart, und er stierte ihn mit der glotzäugigen Vehemenz eines Wahnsinnigen an. Zwei bluttriefende Wildkaninchen baumelten von seinem Gürtel. »Wer gibt dir das Recht?« wiederholte er.
    Jeremias trat einen Schritt zurück und überlegte, wie er diesem Irren mit seinem Holzbein entkommen könnte, und bemerkte, daß er dabei den Namen seines Herrn und Meisters vor sich hin murmelte wie eine Beschwörung. »Oloffe Stephanus Van Wart«, erwiderte er, »... der patroon.«
    »Ach so, der patroon, ja?« gab der Irre spöttisch zurück. »Und wer gibt dem das Recht dazu?«
    Jeremias versuchte, dem Blick des Fremden standzuhalten und sich gleichzeitig nach etwas umzusehen, womit er sich verteidigen könnte – ein Stein, ein Ast, der Unterkiefer eines Esels, irgend etwas eben. »Die... die Hochmögenden Herren«, stammelte er. »Ursprünglich, meine ich. Jetzt sind es der Herzog von York und König Charles von den Englischen.«
    Der Irre grinste. Ein mattes, tonloses Lachen entsprang seinen Lippen. »Hast deine Lektion gut gelernt«, sagte er. »Und was bist du, Bursche? Ein Mann, der sein Schicksal in die Hand nimmt, oder der Niggersklave von irgendwem?«
    Auf einmal bäumte sich das ganze Universum auf und gellte ihm in den Ohren, das schrille Geheul der vertrockneten, verdorrten Toten dieser Welt: auf einmal begriff Jeremias, wer da vor ihm stand. Verzweifelt packte er einen Stein und kauerte sich nieder, David in Goliaths Schatten. Er begriff, daß er nahe daran war zu sterben.
    »Du da«, sagte der Irre und lachte wieder. »Weißt du, wer ich bin?«
    Jeremias brachte kaum eine erstickte Antwort heraus. Die Knie wurden ihm weich, und seine Kehle war trocken. »Ja«, flüsterte er. »Du bist Wolf Nysen.«

ADEL OHNE GRUNDBESITZ
    Marguerite Mott, die ältere Schwester von Muriel Mott, rückte dichter an Depeyster heran, wobei sie mit den Beinen des Stuhls im William-and-Mary-Stil den uralten Parkettboden zerschrammte. Wie ihre Schwester war sie eine dicke, mondgesichtige Blondine Mitte Fünfzig mit einer Vorliebe für falsche Wimpern und Cocktailkleider in Farben wie Champagner und Chartreuse. Im Gegensatz zu ihrer Schwester verdiente sie allerdings ihr Geld mit Arbeit. Sie war Grundstücksmaklerin. »Er hat das Angebot ausgeschlagen«, sagte sie und sah von den Papieren in ihrem Schoß auf.
    »Mist.« Depeyster Van Wart stand auf und sprach mit schrillem Kreischen weiter. »Hast du das auch streng vertraulich behandelt? Er hatte keine Ahnung, daß ich es ihm mache?«
    Marguerite klimperte in gespielter Scheu mit den Wimpern und blickte ihn mit großäugiger Redlichkeit an. »Wie du es mir aufgetragen hast«, sagte sie. »Ich habe ihm ein Angebot im Auftrag eines Klienten aus Connecticut gemacht.«
    Entnervt wandte sich Depeyster ab. Er hatte gute Lust, etwas von der Anrichte zu nehmen – ein antikes

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