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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihm in Fetzen vom Schienbein hing: er ging durch die Küche des patroon, betrat den Salon des patroon , und er kam sich sehr klein vor. Verglichen mit dem bescheidenen kleinen Bauernhaus der van der Meulens oder mit Jan Pieterses düsterem, zugigem Laden schien das hier unaussprechlich großartig, ein mitten in der Wildnis der Neuen Welt erstandener Sultanspalast. Zwar umfaßte das Gebäude in Wirklichkeit auf seinen zwei niedrigen Stockwerken nur sechs mäßig große Zimmer und war kaum zu vergleichen mit den Bürgerhäusern von Amsterdam oder Haarlem, geschweige denn mit den großen Landgütern des Adels, aber für den Bewohner eines Schuppens mit einem Fußboden aus gestampfter Erde, strohgedecktem Dach und Wänden aus ungehobelten, harztriefenden Stämmen, für jemanden, der aus Holzkannen trank, ärmliche Stückchen von sehnigem Kaninchenfleisch mit den Fingern aus dem Kochtopf fischte und sich den Mund mit dem Hemdsärmel abwischte, war das hier der Überfluß schlechthin. Trotz der Verzweiflung, trotz des Ärgers und des Grolls fühlte sich Jeremias eingeschüchtert und erniedrigt; er fühlte sich schwach und unbedeutend – er fühlte sich schuldbewußt; ja, schuldbewußt –, und er betrat Van Warts Wohnzimmer geduckt wie ein Sünder, der in die Sixtinische Kapelle hineinschlurft.
    Der patroon, ein fleischiger, blasser kleiner Mann, dessen Züge hinter diversen Auswüchsen verborgen zu liegen schienen, war tief in die Kissen eines Diwans versunken, sein gichtiger Fuß lag weit über Augenhöhe auf einer provisorischen Stütze aus zwei Biberpelzen, einem Federkissen, der Familienbibel und einem Exemplar der Inleiding tot de Hollandsche Rechtsgeleerdheid von Grotius, alles auf einem durchhängenden Stuhl in der Zimmerecke gestapelt. Neben ihm saß der commis, aufgeblasen und überheblich wie der zweitgrößte Ochsenfrosch im Teich; im Schoß des Verwalters lag, wie das Buch des Jüngsten Gerichts selbst, die Aufstellung der Pachtforderungen. Kaum hatte Jeremias ihn erblickt, war all seine Demut verflogen; statt dessen fühlte er eine berauschende Woge von Haß in sich aufsteigen. Er wollte keine Äcker bestellen, für seine Schwester sorgen, ein gutes Einkommen haben oder Neeltje aus der Macht ihres Vaters entreißen – in diesem Moment hatte er nur das Bedürfnis, den Degen des schout zu packen, um ihn in die teigigen, madenartigen Körper von Verwalter und patroon zu stoßen, und danach alles zu zerstören, die Möbel zu zertrümmern, das Geschirr in tausend Stücke zu schlagen, die Hosen hinunterzulassen, den Darm in die silberne Teekanne zu entleeren ... doch dieser Impuls erstarb, noch ehe er ihn ganz ergriffen hatte, war totgeboren, und an seine Stelle trat ein Augenblick atemloser Überraschung. Denn plötzlich bemerkte Jeremias, daß patroon und commis nicht allein im Raum waren. Auf einem Stuhl in der Ecke, stumm und reglos wie eine Schlange, saß ein Mann, den Jeremias noch nie zuvor gesehen hatte.
    Er war jung, dieser Fremde – höchstens fünf oder sechs Jahre älter als Jeremias –, in Samt und Seide herausgeputzt wie einer der Hochmögenden Herren höchstselbst. Das eine in Seide gehüllte Bein über das andere geschlagen, auf den Lippen ein spöttisches Grinsen von unbezwingbarer Überlegenheit, warf er einen eiskalten, abschätzigen Blick auf Jeremias, der sich in diesen hineinfraß wie Säure. Einen erstaunten Moment lang hielt Jeremias diesem Blick stand, dann sah er zu Boden, von neuem gedemütigt. Die Wunde auf seinem Gesicht brannte, jetzt kein Symbol des Sieges mehr, sondern ein Kainsmal, das Zeichen des Verbrechers. Er hob den Blick nicht mehr.
    Zu allem, was folgte – von der nicht enden wollenden, erst mahnenden, dann versöhnlichen Ansprache des patroon über das sinnlose Geschwafel des Verwalters bis zur wortkargen, gedämpft vorgebrachten Aussage des schout – , sagte Jeremias kein Wort außer ja oder nee. Der Mann in der Ecke (wie sich bald herausstellte, war es jongheer Stephanus Oloffe Rombout Van Wart, Oloffes einziger Sohn und Erbe, der soeben frisch von der Leydener Universität eingetroffen war, um angesichts der schwindenden Kräfte seines Vaters selbst nach dem Besitz zu sehen) stopfte indessen eine Tonpfeife mit Virginiatabak, schlürfte ein Glas portugiesischen Wein und verfolgte die Vorgänge mit einer Miene, als beobachte er Mistkäfer, die sich um ein Kügelchen Dung stritten. Er saß einfach nur da, die dünnen, hochmütigen Lippen zu einem ironischen Grinsen

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