Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
ungehobeltem Holländisch, daß es klang wie das Zwiegespräch der Raubtiere, er solle sich nun besser für mijnheer Van Wart präsentabel machen. Als sie gegangen war, zog sich Jeremias das kratzige Wollhemd über den Kopf und hielt seine schmerzende Wange vorsichtig in den Eimer; er ließ sie eingetaucht, bis sich die Schlammschicht aufzulösen begann. Das Wasser wurde erst trüb und nahm dann die Farbe von Rinderbrühe an, Blattstückchen, verdrehte Zweige und seltsame getrocknete Blüten schwammen darin herum.
    Nach einer Weile setzte sich Jeremias auf und betastete die Wunde zaghaft mit den Fingerspitzen; ein zackiger, aufgeplatzter Wulst verlief von der rechten Braue bis zum Kinn, er fühlte sich rauh an, eine Topographie von Schorf, Eiter und feuchtem Blutmatsch. Er untersuchte diesen neuen Teil seines sich wandelnden Ichs, strich mit den Fingern wieder und wieder darüber, bis die frischen Blutungen gestillt waren. Dann wusch er sich die Hände.
    Ungefähr gegen neun holte ihn der schout. Die Tür flog auf, das Licht ergoß sich in den Raum wie die Brandung bei Flut über die Uferfelsen, und da stand er, vornübergebeugt wie ein großes schwarzes Fragezeichen auf dem unbeschriebenen Blatt des Tages. »Kommt, yonnker , der Gutsherr will jetzt mit Euch sprechen«, doch er sagte es irgendwie merkwürdig, seine Stimme klang hohl und unsicher. Einen Augenblick lang war Jeremias verwirrt – das war nicht der schout , den er kannte –, dann aber begriff er: es lag an der Wunde. Der Mann war zu weit gegangen, und er wußte es. Er hatte die Hand gegen einen unbewaffneten, verkrüppelten Jungen erhoben, und der Beweis dafür war im Gesicht seines Opfers eingekerbt. Jeremias erhob sich vom Stroh und schritt aus der Zelle, das Zeugnis für die Schande des schout trug er wie einen Orden.
    Cats eskortierte ihn ums Haus zur Küche/Speisekammer, wo Milch, Butter, Käse und andere Nahrungsmittel gelagert waren und wo die Bediensteten des patroon den größten Teil des Essens für den Haushalt zubereiteten. Kaum waren sie durch die Tür, trat die Schwarze aus dem Schatten und klopfte Jeremias’ breiten Rücken, seine Schultern und Arme und das Gesäß seiner ausgebeulten Hosen mit einem Besen ab, dessen Birkenreisig so steif war, als wäre es frisch geschnitten. Dann geleitete sie ein zweiter Schwarzer – ein schmächtiger Mann mit hängenden Schultern und einem Haarschopf, der von seinem Kopf abstand wie ein Barett – die Stufen hinauf zur darüber gelegenen Herrschaftsküche.
    Dieser Raum wurde von einem großen runden Tisch aus Eichenbrettern beherrscht, in dessen Mitte ein Zuckerhut und eine blaue Vase mit Schnittblumen standen. Ein bunt gestrichener Schrank stand in der Ecke neben einer schweren Mahagoni-Anrichte, die auf dem Schiff vom alten Kontinent gekommen sein mußte, und der Kamin war ringsum mit blauen Keramikfliesen dekoriert, die biblische Themen wie die Erstarrung von Lots Frau zur Salzsäule und die Enthauptung von Johannes dem Täufer darstellten. All das nahm Jeremias in sich auf, während er vor der Tür strammstand. Der schout lümmelte sich neben ihm, den Federhut gezogen, während der Schwarze ehrfürchtig an die Tür zum Wohnzimmer klopfte. Von drinnen antwortete eine Stimme, der Sklave zog die Tür geräuschlos auf und blickte sie mit einem Grinsen an, das die scharfen, angefeilten Spitzen seiner blitzenden Zähne entblößte. »So, patroon jetz reinkomm lassen«, sagte er und trat mit schwungvoller Gebärde beiseite.
    Jeremias erspähte Wände, die voller Porträts hingen, die massigen Quader dunkler, polierter Möbelstücke, echte Talgkerzen in silbernen Leuchtern, einen bunten handgewebten Teppich. Als er neben dem schout vorwärts hinkte, kam ein hoher, rechteckiger Tisch in Sicht, und er sah, daß dort zum Tee gedeckt war, eine silberne Kanne und Tassen aus bemaltem Porzellan, die die schmalen, ebenmäßigen Hände chinesischer Kaiser hätten zieren können. Die Schönheit der Szene, die Eleganz und Kultur überwältigten ihn geradezu, erdrückten ihn mit einem Heimweh, so heftig und reinigend wie ein Löffel Rettich. Einen Moment lang – nur einen Moment lang – war er der kleine Junge im Schoße seiner Familie, den der Bürgermeister von Schobbejacken mit den Eltern an Martini zu sich in die gute Stube zum Tee einlud.
    Mit einemmal wurde er sich des rauhen Kratzens seines Holzbeins auf dem Boden bewußt, bemerkte sein verdrecktes Hemd, die schmutzige Hose und den zerrissenen Strumpf, der

Weitere Kostenlose Bücher