Worm
das Atom zu spalten; das hier war Big Brother, es war HAL , der allmächtige Bordcomputer aus dem Film 2001: Odyssee im Weltraum. Dies war die lang erwartete, seit langem vorhergesagte Konfrontation mit DER MASCHINE , dem unfassbaren Monster mit Milliarden Armen, dem wir in unserer Naivität alle Einzelheiten unseres privaten und öffentlichen Lebens anvertraut hatten … nur – wahrscheinlich war es das alles gerade nicht. Wer käme schließlich auf den Gedanken, den Weltuntergang auf den 1. April zu legen? Das hier war ein millionenarmiges Monster mit einem Sinn für Humor!
Am Abend des 31. März , dem Vorabend des C-Days, widmete sich CBS TV in 60 Minutes, der Nachrichtensendung im US -Fernsehen mit dem besten Ruf und den höchsten Einschaltquoten, dem Wurm. Der Sender hatte allen Grund, Conficker ernst zu nehmen, denn auch sein eigenes Netzwerk war von Conficker befallen, und man behandelte das Thema auch so. So viel Geld und Aufwand, wie es CBS gekostet hatte, seine Computernetze zu säubern, hielt man den Wurm bei dem Sender für alles andere als witzig.
Trotzdem konnte man sich auch bei CBS das Y2K -Augenzwinkern nicht ganz verkneifen.
Leslie Stahl, die Moderatorin, fuhr eine weitgehend ernste Linie. »Das Internet«, berichtete sie den vielen Millionen Menschen vor den Bildschirmen, »ist infiziert.« Unter dem Strich war der Beitrag vor allem eine Warnung vor allen Spielarten »grauenhaft-gruselig bösartiger Software« – wieder das Augenzwinkern! – und damit eine phantastische Werbeveranstaltung für die kommerziellen Computersicherheitsanbieter, insbesondere für Symantec, dessen Vizepräsident Steve Trilling das Botnetz vor laufender Kamera folgendermaßen erklärte: »Stellen Sie sich ein Netzwerk von Spionen vor, die in ein Land eingesickert sind. Und jeden Tag rufen alle diese Spione zu Hause an und bitten um Anweisungen, was sie als Nächstes tun sollen.«
»Bislang«, sagte Stahl, »haben die bösen Jungs, die den Wurm erschaffen haben, Conficker noch nicht von der Leine gelassen. Er sitzt da draußen wie eine Schläferzelle und wartet.« Seit 9/11 gibt es kaum einen Amerikaner, der nicht von seinem Wohnzimmersofa hochschreckt, wenn der Ausdruck »Schläferzelle« fällt. Nur dass sich die bösen Terroristen dieses Mal in ihren Heimcomputern eingenistet hatten, vielleicht sogar auf dem Laptop hier direkt auf … ihrem … Schoß! Auf Stahls Frage, was der Wurm denn tun könnte, erwiderte Trilling: »Das ist ja das Seltsame. Das Einzige, was der der Wurm tun soll, ist, weitere Befehle anzufordern.«
Der Wurm könnte sich jedoch »jeden Moment« in ein bösartiges Monster verwandeln, warnte Stahl und fügte hinzu: »Ich höre schon die Filmmusik von Der weiße Hai .«
Da, schon wieder: das Augenzwinkern!
»In den Kreisen der Conficker-Jäger macht das Wort vom Aprilscherz die Runde«, schloss Stahl den Bericht, »aber um ehrlich zu sein: Niemand weiß, ob die Anweisungen harmlos sein werden oder ob sie nicht das gesamte Internet zum Absturz bringen.«
So, damit war es ausgesprochen. Wenn man begriff, was auf dem Spiel stand, sich entschied, ernsthaft darüber nachzudenken (also das zu tun, von dem Paul Vixie erklärt hatte, dass er es bewusst vermied), und den potenziellen Risiken dorthin folgte, wohin sie führten, schien der Ausdruck Cybarmageddon völlig gerechtfertigt. Hey, was, wenn das hier wirklich der Ernstfall ist?
Die Mitglieder der »Kabale« waren in einer Hinsicht überaus erfolgreich gewesen: Sie hatten den Wurm zum Gegenstand des öffentlichen Interesses gemacht. Sie hatten einen weiten Weg zurückgelegt seit ihrer ersten Presseerklärung Anfang Januar, die nur in ein paar Cybersicherheitsblogs aufgegriffen worden war. Und jetzt?
»Ein unvorstellbares Desaster bahnt sich an!« – New York Times.
»Eine Bedrohung, die das gesamte Internet lahmlegen könnte!« – 60 Minutes.
»Eine tödliche Gefahr!« – The Guardian.
Die Alarmrufe wurden von einer Vielzahl weniger bedeutender Publikationen und Medien rund um die Welt aufgegriffen, verstärkt und interpretiert, aber eben immer mit einem … Augenzwinkern.
Das alles machte die »Kabale« ziemlich nervös; die Angst, die sie umtrieb, war weitgehend dieselbe wie damals, als Rodney durch die Hauptstadt getourt war und die Botnetz-Trommel gerührt hatte. Eines der größten Risiken, wenn man den globalen Panikknopf drückt, besteht natürlich darin, sich zum Idioten zu machen. Sie hatten gewollt, dass
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