Worte der weißen Königin
sehr alte, verstaubte Kochbücher, und auch die waren ohne Musik. So schwänzte ich eines Tages die Schule und machte mich auf die Suche nach Büchern.
Und ich fand sie.
Ich fand den Ort, von dem alle Bücher kamen. Das Paradies.
Es war ein Laden in der Stadt, eine halbe Stunde von der Schule entfernt, und im Schaufenster standen Dutzende von Büchern. In den Regalen standen noch mehr Bücher, bunte, schöne Bücher mit wunderbaren Dingen auf dem Einband. Ich blätterte darin und suchte, doch ich fand nicht, was ich suchte.
Bei meinem zweiten Besuch kam die Frau zu mir, der vielleicht all diese Bücher gehörten. Sie fragte mich, wonach ich suchte. Ich wusste, dass sie mich nicht verstehen würde, aber ich versuchte es trotzdem.
Ich sagte: »Ich suche die Worte der weißen Königin.«
Die Buchfrau runzelte die Stirn und dachte eine Weile nach. »Die Worte der weißen Königin …«, wiederholte sie. »Was für ein schöner Titel. Ich fürchte, das haben wir nicht.« Sie sah in einem Computer nach, doch ich hätte ihr gleich sagen können,dass sie dort nichts finden würde. Denn wie sollten die Worte der weißen Königin mit ihrem gewaltigen, wunderbaren, alles ausfüllenden Klang in einen einzigen Computer passen?
Schließlich schüttelte die Buchfrau den Kopf. »Ich kann die Worte der weißen Königin nicht finden«, sagte sie.
»Ja«, murmelte ich, »ich auch nicht. Das ist das Problem.«
Wenn ich etwas mehr Zeit hätte, dachte ich, wäre es leichter. Ich müsste mich zu Hause mit den Büchern hinsetzen und nach den Worten suchen. Aber die Bücher kosteten Geld, viel Geld, und ich hatte kein Geld.
So begann ich, Bücher zu stehlen. Eigentlich ist das nicht wahr, ich lieh sie nur aus. Ich steckte ein paar von ihnen in meine Schultasche, als die Buchfrau in einen anderen Raum ging, und zu Hause durchsuchte ich sie nach den klingenden Worten. Die ich nicht fand. Dann kehrte ich zurück in den Laden und stellte die Bücher wieder ins Regal und lieh mir andere aus. Die Buchfrau merkte nichts. Es war ganz leicht.
Die Bücher, die ich noch durchsuchen musste, bewahrte ich unter meinem Bett auf, zusammen mit den Schätzen aus den Häuserruinen – dem Katzenschädel und den Scherben. Über meinem Bett steckte in einem Mauerspalt, wo die Tapete schadhaft war, meine Sammlung an Adlerfedern. Und wenn ich abends einschlief und die Adlerfedern ansah, dann dachte ich: Morgen finde ich die Worte. Morgen wird das richtige Buch unter mein Bett wandern, und dann kann ich alle anderen zurückgeben. Und: Morgen sehe ich meinen Seeadler wieder, und dann lasse ich alle gesammelten Adlerfedern im Wind fliegen. Wenn ich die Worte finde und meinen Adlerwiedersehe, dachte ich, dann verschwindet vielleicht der schwarze König.
Ich fand die Worte nie.
Der schwarze König fand die Bücher.
Dies war das zweite Mal, dass ich ernsthaft mit ihm aneinandergeriet.
Ich kam eines Tages nach Hause, es war zu Anfang der vierten Klasse, nach den großen Ferien, und ich hatte neue bunte Bücher in meiner Schultasche, die ich nach Worten durchsuchen musste.
Mein Vater war draußen. Er hatte die Ziegen im Garten angepflockt, außerhalb des Gatters, damit sie das hohe Gras abfraßen. Die Sonne schien, und ich lief zu ihm, die Schultasche über der Schulter. Ich wollte ihm von unserer neuen Lehrerin erzählen, die nicht so viel herumschrie und die gesagt hatte, sie würde vielleicht auch eine Geschichte vorlesen, morgen. Ich wollte ihm erzählen, dass sie mich gelobt hatte, weil ich besser las als alle anderen. Als ich die Schultasche vorsichtig auf den Boden legte, war mein Vater dabei, eine Ziege an einer anderen Stelle anzubinden.
»Hallo!«, rief ich. »Ich habe …«
Mein Vater sah auf. Und ich sah in seinen Augen, dass er nicht da war. Es war der schwarze König, der die Ziege festhielt. Ich verstummte.
»Lion«, sagte der schwarze König. Seine Stimme war ganz ruhig. Doch ich spürte die Wut in seiner Ruhe. Sein rot geränderter, wütender Blick nagelte mich fest, wo ich stand.
»Ja«, sagte ich, sehr leise.
Der schwarze König band die Ziege los.
»Lion«, sagte er noch einmal, genauso ruhig. »Sage mir eines: Woher kommen die Bücher unter deinem Bett? Neue Bücher. Der Preis klebt noch auf der Rückseite. Ich habe dir kein Geld gegeben, um neue Bücher zu kaufen. Und ich kenne niemand anders, der dir Geld geben könnte.«
»Die … die Bücher …«, stotterte ich. Mir wurde heiß vor Angst. Wie konnte ich dem schwarzen
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