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Worte der weißen Königin

Worte der weißen Königin

Titel: Worte der weißen Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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mich ins hohe, ungemähte Gras gelegt und die Adler beobachtet, die in den Aufwinden schwebten.
    An jenem Tag setzte ich mich ins Gras, denn ich hatte Gründe, mich nicht auf den Rücken zu legen. Und als ich den Kopf hob, sah ich dort vor dem Blau einen Adler mit einem glänzenden Lichtfleck am linken Bein: einem Ring. Ich saß ganz still und sah ihm zu, wie er seine Kreise zog, wie er im Wind spielte und immer näher kam. Ich wusste nicht, ob er mich gesehen hatte. Ob er begriffen hatte, dass es ein Mensch war, der auf der Lichtung saß. Womöglich hielt er mich für ein totes Stück Holz.
    Als der schwarze König fortgegangen war und mich auf dem Boden zurückgelassen hatte, hatte ich mich beinahe gefühlt wie ein totes Stück Holz. Aber als ich meinen Adler über mir fliegen sah, fühlte ich mich so lebendig wie nie.
    Ich war ganz sicher, dass er es war. Ich spürte es.
    Nach einer Ewigkeit ließ er sich in einer der Kiefern nieder, die am Rand der Lichtung standen. Ich griff in meine Tasche,in der die Butterstulle steckte, die ich für die Schule mitgenommen hatte. Es war Wurst darauf. Ich legte sie ins Gras, und als ich mich bewegte, flog mein Adler von seinem Baum auf und stieß einen erschrockenen Schrei aus.
    »Rikikikriii!«, schrie er, genau, wie ich es in Erinnerung hatte. »Rikikikriii!« Er war es, kein Zweifel.

4. Kapitel
    Bitte, zähme mich!
    I ch ging durch die hohen grünen Spätsommerstauden zum Deich, kletterte hinauf und setzte mich dort oben ins Gras. Und wieder wartete ich, und wieder brauchte mein Adler lange, lange. Doch schließlich landete er ein zweites Mal, und diesmal ließ er sich auf der Lichtung nieder, direkt neben der Butterstulle. Ich beobachtete, wie er mit vorsichtigen kleinen Schritten näher kam, den Hals gestreckt.
    Lächerlich, dachte ich. Was will mein Adler mit einer Butterstulle? Es ist Spätsommer. Es gibt genug Fisch.
    Doch er riss die Butterstulle in Stücke und fraß sie. Er sah dabei zu mir herüber, als wollte er sagen: Ich fresse gewöhnlich Besseres in Monaten wie diesen. Aber ich nehme dein Geschenk an. Es ist ein Zeichen, und ich verstehe es.
    »Rikikikri!«, rief ich leise.
    Mein Adler zuckte zusammen. Er flog nicht auf. Er trippelte ein paar Schritte in meine Richtung.
    »Ich heiße Lion«, sagte ich.
    Rikikikri schien zu nicken. Dann flog er doch auf, aber nicht wie einer, der flieht. Er flog auf wie einer, der vorhat zurückzukommen.
    Ich rannte den ganzen Weg nach Hause. Ich war so glücklich, dass ich laut hätte singen können. Mein Vater war da, ich hörte ihn im Hof vor sich hin summen, und summen tat sicher nur mein Vater, nicht der schwarze König.
    Er ist wieder hier!, wollte ich rufen, schon von Weitem. Mein Adler, Rikikikri! Er hat noch Angst vor mir, aber er ist schon ein wenig näher gekommen. Es geht ihm gut, sein Gefieder ist heller geworden, und er hat schon ein paar beinahe weiße Schwanzfedern …
    Dann fiel mir ein, dass mein Vater die Adler nicht mochte.
    Er war dabei, im Hof ein Reh zu häuten.
    »Lion«, sagte er und sah auf, »willst du mir helfen?«
    Ich nickte, und er gab mir ein zweites Messer. Rehe zu häuten war leicht, viel leichter als Kettenrechnen oder Rechtschreibung.
    »Die Innereien habe ich im Wald gelassen«, sagte mein Vater. »Die Füchse werden sie fressen. Oder die Seeadler.«
    »Die Seeadler?«, fragte ich und sah auf.
    Mein Vater nickte. »Sie scharren die Innereien sogar wieder aus, wenn man sie vergräbt. Wenn man nicht tief genug gräbt. Die Innereien sind voll Blei von den Geschossen. Irgendwann sterben die Seeadler alle am Blei. Es vergiftet sie nach und nach. Sie werden nicht alt hier bei uns in den Wäldern. Dreißig Jahre könnten sie alt werden, wenn man sie ließe. Dreißig Jahre! Diese Wildräuber! Hier werden sie nicht einmal zehn.«
    Da erschrak ich. Ich musste auf meinen Adler aufpassen. Ich würde nicht zulassen, dass er sich vergiftete.
    Als ich an diesem Abend im Bett lag, dachte ich darüber nach, weshalb mein Vater mir die Sache mit dem Blei erklärt hatte.
    War es möglich, dass er mir hatte helfen wollen? Im Geheimen? Wollte er, dass ich meinen Adler schützte? Ahnte er, dass es ihn gab?
    Er konnte natürlich nicht zugeben, dass er mir helfen wollte, dachte ich – falls der schwarze König zuhörte. Denn der schwarze König lauerte irgendwo und war gegen alles Helfen und alles Gute und Schöne auf der Welt.
    »Du bist und bleibst ein Dummkopf«, sagte jemand vom Fenster her. Es stand einen

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