Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
weiter.
»Ja. Aber dann der Schreck. Der Schlüssel
war nicht drin.«
»Woher wussten diese Leute von dem Schlüssel?«
»Claudine hat das mal erwähnt. In einem
Brief an mich. Den haben die Schnüffler des Syndikats in meinem Zimmer gefunden.«
»Und woher hatte Claudine die Informationen
über den Handel mit Frauen?«
Der Hauptkommissar versuchte zu verstehen,
was Serafine ihm erklärte. Er wusste, es wäre ein Fehler, sich emotional zu weit
auf diese Täterin einzulassen. Ihm war klar, wie sehr ihn der Fall selbst in seinen
Träumen weiter verfolgen würde.
»Claudine war von jeher neugierig. Schon
als sie noch klein war. Immerzu steckte sie ihre Nase in Angelegenheiten, die sie
nichts angingen – ob das nun Briefe waren oder sie Telefonate belauschte. Irgendwann
beobachtete sie eine Gruppe Frauen, die in einem Tempel verschwand. Weil sie wissen
wollte, was da vor sich ging, hat sie gelauscht und versucht herauszufinden, wozu
das Ritual dienen sollte. Ich sagte ihr gleich, sie solle das lassen, so was bringt
nur Probleme.« Serafines Miene blieb gleichgültig.
Nachtigall versuchte, die Puzzleteile des
Falls zu sortieren, ohne sich von der Kaltblütigkeit dieser Frau aus dem Konzept
bringen zu lassen. Er war in diesem Raum schon vielen Tätern begegnet, verzweifelten,
zerknirschten, psychisch labilen und betroffenen. Aber selten traf man auf einen
Mörder, der an seinen Taten emotional derart unbeteiligt zu sein schien.
»Warum wurden gerade Sie für die Morde ausgewählt?
Wussten die Auftraggeber nicht, dass Sie und Claudine befreundet waren?«
»Aber natürlich wussten sie das. Ich hatte
keine Wahl, wurde trainiert, konnte beweisen, dass ich gut war, und durfte den Auftrag
übernehmen«, zählte sie auf, unbeteiligt, als zitiere sie eine Einkaufsliste.
»Keine Wahl?«
Vielleicht stimmte das sogar, dachte der
Hauptkommissar. Diesmal sollten wir unbedingt auch die vor Gericht stellen, die
diese Morde von ihr verlangt und sie durch Erpressung gefügig gemacht hatten. Die
Hintermänner. Und wenigstens einige von ihnen würden sie schnappen. Da war er zuversichtlich.
»Sie lassen nicht locker, oder? Nun, das
ist schnell erzählt. Die Kontaktleute auf Haiti sind im Besitz des heiligen Gefäßes
mit der Seele meines Bruders. Er ist ein Initiierter! Verstehen Sie – er wurde von
einem Gott auserwählt. Die beiden werden bis zum Lebensende meines Bruders zusammenbleiben.
Aber nun haben diese Leute seine Seele gestohlen, und da sie seinen Namen kennen,
ist er in großer Gefahr. Sie können zum Beispiel Seele und Namen an einen Bokor
verkaufen, der meinen Bruder zwingen kann, alles für ihn zu tun. Zum Beispiel sich
als Dämon den finsteren Mächten zu unterwerfen und andere Menschen zu quälen, Krankheiten
zu bringen, Tod und Verderben. Meine Ahnen, meine Familie, mein Bruder – alle hätten
mich bei einer Weigerung mit ihrem Hass bis zu meinem Tod und darüber hinaus verfolgt.
Also tat ich, was das Syndikat von mir wollte«, erklärte Serafine völlig gefühllos,
als spräche sie über eine Geschichte, die sie vom Hörensagen kannte.
Nachtigall erinnerte sich an das Gespräch
mit Robin Lang, bei dem ihm der Experte von einem Überfall auf einen Tempel erzählt
hatte und der Unruhe, die seither in der betroffenen Société herrschte.
»Sie sind nicht in Claudines Wohnung gegangen,
um dort zu suchen.«
»Nein, natürlich nicht. Sie hatte sich mit
Schutzzaubern verbarrikadiert. Da kam ich ohnehin nicht hinein – auch nicht mit
einem Schlüssel«, antwortete sie, als sei das eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich
keiner Erklärung bedürfe.
»Und die anderen?«
»Claudine schrieb mir, sie wolle den Schlüssel
vielleicht einem ihrer Freunde zur Aufbewahrung geben. So wusste ich, was zu tun
war. Die Suche musste fortgesetzt werden«, sie klang entrückt, als habe das Geschehen,
hätten diese grausamen Morde eine eigene, zwingende Logik.
»Die ersten Morde waren einfacher – ich
wurde durch die Zauberkraft eines unserer mächtigsten Magier unterstützt. Ich war
sogar in die Wohnung von Meinert eingebrochen, um Haare für das Ritual zu stehlen.
Aber ab dem dritten Mord war ich auf mich allein gestellt.«
Michael Wiener kehrte zurück.
Fasziniert beobachtete er, wie sich diese
Frau bewegte. Groß, durchtrainiert und stark – dabei entschlossen und kalt. Bei
ihrem ersten Zusammentreffen hatte er das gar nicht bemerkt. Er legte zwei Fotos
auf den Tisch.
Nachtigall nickte.
»Ist das der tolle Audi
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