Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
verbessern, um beständig Romane zu schreiben. Würden Wettkämpfe und Training die Zeit reduzieren, die ich zum Schreiben brauche, hieße das, den Karren vor den Ochsen zu spannen.
Deshalb halte ich ein halbwegs gemäßigtes Programm ein.
Auf jeden Fall hat man, wenn man wie ich über ein Vierteljahrhundert täglich gelaufen ist, eine Menge schöne Erinnerungen.
So denke ich noch heute gern daran zurück, wie ich 1984 mit John Irving durch den Central Park lief. Ich übersetzte damals gerade seinen Roman Laßt die Bären los und wurde, als ich in New York war, gebeten, ein Interview mit ihm zu machen. Er habe sehr viel zu tun, sagte er, aber wenn ich ihn bei seinem morgendlichen Jogging im Central Park begleiten würde, könnten wir beim Laufen reden. Wir sprachen über alles Mögliche, während wir durch den Park rannten. Natürlich konnte ich unser Gespräch nicht aufnehmen und mir auch keine Notizen machen, weshalb ich nur die glückliche Erinnerung habe, wie wir zusammen durch die frische Morgenluft joggen.
In den achtziger Jahren joggte ich jeden Morgen in Tokyo. Dabei begegnete ich öfter einer sehr attraktiven jungen Frau. Mehrere Jahre lang joggten wir aneinander vorbei. Natürlich kannten wir uns inzwischen vom Sehen und grüßten einander stets mit einem Lächeln. Ich habe sie nie angesprochen (ich bin zu schüchtern) und weiß demnach nicht einmal ihren Namen. Dennoch gehörte es damals zu den kleinen Freuden meines Lebens, jeden Morgen beim Joggen ihr Gesicht zu sehen. Ohne eine solche Vorfreude fällt es sehr schwer, jeden Morgen aufzustehen und laufen zu gehen.
Eine weitere Erinnerung, die mir viel bedeutet, ist ein Lauf hoch oben in Boulder, Colorado. Damals hatte ich die Gelegenheit, mit Yuko Arimori, der japanischen Silbermedaillengewinnerin bei den olympischen Spielen in Barcelona, zu trainieren. Es war nur ein leichtes Joggen, aber aus Japan zu kommen und plötzlich in einer Höhe von 3000 Meter zu laufen war ziemlich hart – meine Lungen pfiffen, mir war schwindlig, und ich hatte entsetzlichen Durst. Yuko Arimori streifte mich mit einem kühlen Blick und fragte nur: »Ist etwas mit Ihnen, Herr Murakami?« Die Welt der Profis ist hart (obwohl Arimori-san eine sehr freundliche Dame ist). Am dritten Tag hatte ich mich an die dünne Luft gewöhnt und konnte mich auch beim Laufen an der Frische der Rocky Mountains erfreuen.
So habe ich viele Menschen durch das Laufen kennengelernt, was für mich eine seiner großen Freuden bedeutet. Außerdem haben viele mir geholfen und mich ermutigt. An diesem Punkt sollte ich – wie bei einer Oscar-Verleihung – allen danken, aber es sind zu viele, und ihre Namen würden den meisten Lesern nichts sagen. Daher möchte ich mich auf Folgendes beschränken:
Der Titel dieses Buches stammt von einer Sammlung von Kurzgeschichten von Raymond Carver, der einer meiner Lieblingsschriftsteller ist. Sie heißt Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden. Ich danke seiner Witwe Tess Gallagher, die so freundlich war, mir zu gestatten, den Titel auf meine Weise zu verwenden. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich auch Midori Oka, der Lektorin dieses Buches, die geduldig zehn Jahre darauf gewartet hat.
Zum Schluss möchte ich dieses Buch allen Läufern widmen, denen ich auf meinem Weg begegnet bin, die ich überholt habe und die mich überholt haben. Wenn ihr nicht gewesen wärt, wäre ich vielleicht nie weitergelaufen.
Haruki Murakami, August 2007
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