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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mensch für seine Unabhängigkeit zahlen muss.
    Das ist im Großen und Ganzen die Überzeugung, nach der ich lebe. Vielleicht habe ich deshalb in gewissen Bereichen meines Lebens immer die Einsamkeit gesucht. Besonders in meinem Beruf ist dieser Weg vielleicht auch weitgehend unvermeidlich. Einsamkeit kann jedoch auch wie eine Säure, die langsam aus einer Flasche tropft, das Herz verätzen, ohne dass der Betroffene es merkt. Sie ist wie ein scharfes zweischneidiges Schwert. Sie bietet Schutz, kann jemanden jedoch gleichzeitig von innen durchbohren. Dieser Gefahr bin ich mir – wohl durch Erfahrung – bewusst geworden. Deshalb musste ich die Einsamkeit, die mich umfängt, heilen und ihr entgegenwirken, indem ich meinen Körper ständig in Bewegung hielt und manchmal sogar bis an seine Grenzen trieb, nicht vorsätzlich, sondern eher instinktiv.
    Lassen Sie mich konkreter werden.
    Wenn ich unberechtigten Vorwürfen ausgesetzt bin (oder es zumindest so empfinde) oder wenn jemand, von dem ich erwarte, dass er mich akzeptiert, es nicht tut, laufe ich immer eine längere Strecke als sonst, um den Teil in mir, der sich unbehaglich fühlt, physisch zu erschöpfen. Dabei erkenne ich, wie begrenzt meine Fähigkeiten sind und wie schwach ich bin. Ich erfahre meine Beschränkungen. Zugleich gewinne ich durch diese längeren Läufe an Körperkraft. Wenn ich wütend bin, richte ich die Wut gegen mich selbst. Wenn ich etwas bereue, gibt mir das Laufen das Gefühl, mich zu verbessern. So habe ich immer gelebt. Ich nehme die Dinge, die ich schweigend herunterschlucke, vollständig in mich auf und setze sie später (in möglichst verwandelter Form) als Teil einer Geschichte im Roman wieder frei.
    Ein Naturell wie das meine ist wahrscheinlich nicht sonderlich beliebt. Vielleicht gibt es einige (wahrscheinlich sehr wenige), die davon beeindruckt sind, aber von mögen kann sicher nur höchst selten die Rede sein. Wem wäre schon ein Mensch sympathisch (oder auch nur angenehm), dem es an jeglicher Kompromissbereitschaft fehlt und der sich bei jedem Problem sofort allein in einen Schrank einschließt? Kann ein Schriftsteller überhaupt von anderen gemocht werden? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es irgendwo auf der Welt möglich, man sollte nicht zu sehr verallgemeinern. Für mich zumindest ist es nach diesen vielen Jahren als Schriftsteller kaum vorstellbar, dass jemand mich persönlich mag. Es kommt mir viel natürlicher vor, kritisiert, gehasst und verachtet zu werden. Ich gehe nicht so weit zu sagen, ich wäre erleichtert, wenn es geschieht. Auch ich bin nicht gerade glücklich, wenn andere mich ablehnen.
    Aber das ist etwas anderes. Lassen Sie uns wieder vom Laufen sprechen.
    So wurde das Laufen wieder ein Teil meines Lebens. Ich lief zuerst ernsthaft, später eisern. Was das für mich bedeutet, wo ich nun Ende fünfzig bin, weiß ich noch nicht, aber irgendetwas sollte es schon bedeuten. Vielleicht nichts sonderlich Großartiges, nichts Monumentales, aber eben einen gewissen Sinn sollte es haben. Jedenfalls laufe ich im Augenblick eisern. Darüber nachdenken kann ich auch noch später. (Das Nachdenken zu verschieben ist eine meiner Spezialitäten, eine Fähigkeit, die ich mit zunehmendem Alter immer mehr perfektioniert habe.) Also putze ich meine Laufschuhe, reibe mir Gesicht und Hals mit Sonnenschutzmittel ein, stelle meine Uhr und auf geht’s. Der Passat weht mir entgegen, und ich schaue zu einem weißen Reiher auf, der mit vorschriftsmäßig angelegten Beinen am Himmel entlangsegelt, während ich meinem Lieblingsalbum von The Lovin’ Spoonful lausche.
    Beim Laufen kommt mir ein Gedanke: Wenn ich meine Wettkampfzeiten nicht verbessern kann, ist es eben nicht zu ändern. Ich bin älter geworden, und die Zeit fordert ihren Tribut. Niemand kann etwas dafür. So sind eben die Spielregeln. Ebenso wie ein Fluss, der dem Meer zuströmt, ist es Teil der Natur, dass ein Mensch älter und langsamer wird. Ich muss es hinnehmen. Das Älterwerden ist kein besonders erfreulicher Vorgang, und auch das Ergebnis ist nicht gerade angenehm. Aber welche Wahl habe ich schon? Bis jetzt habe ich das Leben immer auf meine Art genossen (auch wenn ich nicht behaupten kann, es vollauf genossen zu haben.)
    Ich will mich nicht wichtig machen – wer würde auch mit so was prahlen? –, aber ich bin kein besonders heller Kopf. Ich gehöre zu den Menschen, die etwas physisch erfahren und tatsächlich berühren müssen, um eine klare Vorstellung davon zu

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