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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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denke ich wirklich so gut wie nichts .
    Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Normalerweise in einer Leere. Oder vielleicht sollte ich es lieber umgekehrt ausdrücken: Ich laufe, um Leere zu erlangen. Aber natürlich schlüpft stets der eine oder andere Gedanke in diese Leere. Klar, denn in den Herzen der Menschen kann es keine wahre Leere geben. Der menschliche Geist ist nicht stark genug, um ein echtes Vakuum zu halten, und auch nicht so konsequent. Ich sage nur, dass die Gedanken, die beim Laufen in mein Bewusstsein dringen, dieser Leere untergeordnet sind. Sie haben keinen Inhalt, sie tauchen auf und umkreisen die Leere wie eine Achse.
    Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie die Wolken am Himmel. Wolken in verschiedenen Formen und Größen. Sie kommen und ziehen vorüber. Der Himmel jedoch bleibt immer derselbe. Die Wolken sind nicht mehr als Gäste auf der Durchreise. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Und nur der Himmel bleibt zurück. Er existiert und existiert zugleich nicht. Er hat Substanz und ist zugleich substanzlos. Wir können nicht mehr tun, als die Existenz dieses grenzenlosen Raumes zu akzeptieren und in uns aufzunehmen.
    Nun bin ich Ende fünfzig. Als ich jung war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass das 21. Jahrhundert wirklich kommen würde und ich allen Ernstes fünfzig werden könnte. Theoretisch war mir natürlich klar, dass irgendwann (wenn nichts Drastisches geschähe) das 21. Jahrhundert heranbrechen und ich fünfzig sein würde. Mir das jedoch konkret vorzustellen, war mir unmöglich. Ebenso gut hätte man mich auffordern können, mir das Totenreich praktisch vorzustellen. Mick Jagger hat sich einmal gebrüstet, er wolle lieber tot umfallen als mit fünfundvierzig noch Satisfaction singen. Und jetzt ist er über sechzig und singt noch immer Satisfaction . Manche Leute lachen darum über ihn, aber ich kann das nicht. Er konnte sich eben einfach nicht vorstellen, dass er einmal fünfundvierzig sein würde. Mir ging es genauso. Soll ich da über ihn lachen? Ich denke nicht daran. Da ich kein junger berühmter Rocksänger war, hat sich zum Glück niemand gemerkt, was ich damals an Unsinn geredet habe, also kann es auch nicht zitiert werden. Das ist der einzige Unterschied.
    Und nun lebe ich mitten in dieser »unvorstellbaren« Welt. Es ist schon sehr sonderbar, wenn ich darüber nachdenke. Ich durchschaue nicht einmal, ob es für mich als Mensch ein Glück oder ein Unglück ist, hier zu sein. Vielleicht sollte ich die Sache auch nicht zu sehr problematisieren. Es ist für mich das erste Mal – wie vermutlich für die meisten –, dass ich älter werde und die damit verbundenen Gefühle und Veränderungen durchlebe. Hätte ich damit ein bisschen mehr Erfahrung, wäre alles klarer, und ich könnte es besser verdauen. So jedoch bleibt mir vorläufig nicht viel anderes übrig, als damit zu leben, mich eines abschließenden Urteils noch zu enthalten und die Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Ebenso wie ich den Himmel akzeptiere, die Wolken und den Fluss. Allerdings hat das Ganze auch eine gewisse Komik, der man sich nicht völlig entziehen kann.
    Ich bin, wie gesagt, weder im Alltag noch in meinem Beruf darauf aus, mit anderen zu konkurrieren. Ich weiß, es ist banal, so etwas zu sagen, aber es gibt die unterschiedlichsten Menschen auf der Welt. Andere haben andere Werte und leben danach, ebenso wie ich nach meinen Wertvorstellungen lebe. Diese Unterschiede führen zu Unstimmigkeiten, und wenn sich solche Unstimmigkeiten anhäufen, kann das zu immer größeren Missverständnissen führen. Grundlose Vorwürfe sind die Folge, und natürlich ist es kein Vergnügen, missverstanden und ungerecht getadelt zu werden. Manche fühlen sich dadurch zutiefst verletzt. Eine schlimme Erfahrung. Doch mit zunehmendem Alter gelange ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass diese Schmerzen und Verletzungen für den Menschen unerlässlich sind. Im Grunde ist es ja nur die Verschiedenheit der Menschen, die sie zu unabhängigen Individuen werden lässt. Nehmen Sie zum Beispiel mich. Ich kann Geschichten schreiben, weil ich die Fähigkeit besitze, anders zu empfinden, diese Empfindungen anders in Szene zu setzen und andere Worte zu wählen als andere. So entsteht etwas Außergewöhnliches, das von gar nicht wenigen Menschen gelesen wird. Demnach ist der Umstand, dass ich ich bin und kein anderer, einer meiner bedeutendsten Vorzüge. Emotionale Verletzungen sind offenbar der Preis, den ein

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