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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Unterschied, dass ihre Grundstücke nicht bis an die Straße reichen, sondern durch einen hohen Zaun davon getrennt sind. Zwischen diesem Zaun und der Straße erstreckt sich ein völlig verwilderter Streifen.
    Ich klettere hinein und kämpfe mich durch kräftigen Giftsumach. Inmitten halbgroßer Bäume und nahezu undurchdringlichen Gestrüpps, von der Straße aus nicht mehr zu sehen, spähe ich umher – ich kann mich wegen der Äste nicht aufrichten. Ich sehe keine schrägen oder umgestürzten oder zerborstenen Grabsteine und auch keine Pflanzen – wie zum Beispiel Rosensträucher –, die anzeigen, dass hier einmal Grabstellen waren. Es ist sinnlos. Ich bekomme Angst vor dem Giftsumach. Ich krabbele wieder hinaus.
    Aber warum gibt es dieses verwilderte Grundstück überhaupt noch? Grabstätten sind einer der wenigen Gründe, ein Stück Land unberührt zu lassen, heutzutage, wo aller Grund und Boden darum herum genutzt wird.
    Ich könnte dem nachgehen. Viele tun das. Sobald sie erst einmal angefangen haben, gehen sie jedem Hinweis nach. Menschen, die ihr ganzes Leben lang wenig gelesen haben, vertiefen sich in alte Dokumente, und manche, die Schwierigkeiten hätten, zu sagen, wann der Erste Weltkrieg begann und wann er endete, werfen mit Jahreszahlen aus vergangenen Jahrhunderten um sich. Wir sind in Bann geschlagen. Es geschieht zumeist, wenn wir alt sind, wenn unsere persönliche Zukunft sich ihrem Ende zuneigt und wir uns die Zukunft unserer Kindeskinder nicht vorstellen und manchmal auch nicht daran glauben können. Wir können der Vergangenheit nicht widerstehen, fühlen uns gezwungen, in ihr herumzustöbern, unzuverlässiges Beweismaterial zu überprüfen, verstreute Namen und Daten und Anekdoten miteinander in Verbindung zu bringen, kleinsten Spuren nachzugehen, darauf zu bestehen, mit Toten verbunden zu sein und deshalb mit dem Leben.
     
    Ein anderer Friedhof, in Blyth. Wohin der Leichnam von James überführt wurde, Jahrzehnte, nachdem er von dem umstürzenden Baum erschlagen worden war. Und hier liegt Mary Scott begraben. Mary, die aus Ettrick den Brief schrieb, um den Mann, den sie haben wollte, zur Heirat zu verlocken. Auf ihrem Grabstein steht auch der Name dieses Mannes,
William Laidlaw
.
    Gestorben in Illinois
. Und beerdigt Gott weiß wo.
    Neben ihr der Leichnam und der Grabstein ihrer Tochter Jane, dem Kind, das an dem Tag geboren wurde, an dem sein Vater starb, und das als Säugling aus Illinois hinausgebracht wurde. Sie starb im Alter von sechsundzwanzig Jahren, als sie ihr erstes Kind gebar. Mary starb erst zwei Jahre später. Sie musste vor ihrem eigenen Ende also auch noch diesen Verlust verkraften.
    Janes Ehemann liegt dicht daneben. Er hieß Neil Armour, und auch er starb zu jung. Er war der Bruder von Margaret Armour, die die Frau von Thomas Laidlaw war. Beide waren Kinder von John Armour, dem ersten Lehrer an der Sonntagsschule Nr.  1 im Landkreis Morris, die von vielen Laidlaws besucht wurde. Das Kind, das Jane das Leben kostete, hieß James Armour.
    Und da schießt mir eine eigene Erinnerung durch den Kopf. Jimmy Armour.
Jimmy Armour
. Ich weiß nicht, wie es ihm ergangen ist, aber ich kenne seinen Namen. Und nicht nur das – ich glaube, ich habe ihn gesehen, einmal oder mehr als einmal, ein alter Mann, von seinem Wohnort zu Besuch gekommen an den Ort seiner Geburt, ein alter Mann unter anderen alten Leuten – meinem Großvater und meiner Großmutter, den Schwestern meines Großvaters. Und jetzt fällt mir ein, dass er mit ihnen zusammen aufgewachsen sein muss – mit meinem Großvater und meiner Großmutter, den Kindern von Thomas Laidlaw und Margaret Armour. Sie waren sein Vetter und seine Kusinen ersten Grades. Meine Tanten Annie, Jenny und Mary, mein Großvater William Laidlaw, dem »Dad« aus den Erinnerungen meines Vaters.
    Jetzt sind all die Namen, die ich festgehalten habe, mit den in meiner Erinnerung lebenden Menschen verbunden, mit den verschwundenen Küchen, den blank geputzten Nickeleinfassungen an den althergebrachten, viel Raum einnehmenden schwarzen Herden, den müffelnden hölzernen Abtropfgestellen, die nie ganz trockneten, dem gelben Licht der Petroleumlampen. Den Milchkannen auf der Veranda, den Äpfeln im Keller, den Ofenrohren, die durch Löcher in der Decke reichten, dem Stall, der im Winter von den Körpern und dem Atem der Kühe gewärmt wurde – jener Kühe, zu denen wir immer noch mit Wörtern sprachen, die schon zu den Zeiten von Troja

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