Wozu wollen Sie das wissen?
Blaue Roben, viele schwankende Gesichter vor einem Abendrothimmel. Der Mormonenchor?
Ich lausche dem Text des Chorals, den ich früher auswendig konnte. Soweit ich zu sagen vermag, nähern sich die Sänger dem Ende der ersten Strophe.
Ich lasse die Klingel in Ruhe, bis sie fertig sind.
Ich versuche es wieder, und Mrs Mannerow kommt. Eine kleine, tüchtig aussehende Frau mit eng anliegenden graubraunen Locken in einem blauen, geblümten Top, passend zu ihrer blauen Hose.
Sie sagt, dass ihr Mann stark schwerhörig ist und es also nicht viel Sinn hat, sich mit ihm zu unterhalten. Und er ist erst vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden und deshalb eigentlich nicht zu einer Unterhaltung aufgelegt. Sie hat auch nicht viel Zeit dafür, denn sie will gleich aufbrechen. Ihre Tochter kommt aus Chesley, um sie abzuholen. Sie fahren zu einem Familienpicknick, um den fünfzigsten Hochzeitstag der Schwiegereltern ihrer Tochter zu feiern.
Aber es macht ihr nichts aus, mir zu erzählen, was sie weiß.
Obwohl das nicht allzu viel ist, da sie nur in die Familie eingeheiratet hat.
Allerdings weiß auch die Familie selbst nicht allzu viel.
Mir fällt etwas auf, das mir neu ist, nämlich die Bereitwilligkeit, mit der die Frauen mir Auskunft geben, sowohl jetzt die ältere als auch vorher die energische jüngere in dem Blockhaus. Beide scheinen es überhaupt nicht merkwürdig zu finden, dass jemand etwas über Dinge wissen möchte, die niemandem etwas bringen und von keinerlei praktischem Nutzen sind. Beide deuten nicht an, dass sie den Kopf voll haben mit wichtigeren Dingen. Den richtigen Dingen also. Richtiger Arbeit. Als ich aufwuchs, wurde ein Hunger nach unpraktischem Wissen jedweder Art nicht ermutigt. Es ging noch an, zu wissen, welches Feld sich für welche Saaten eignete, aber es ging nicht mehr an, etwas über die eiszeitliche Geographie zu wissen, die ich erwähnt habe. Es war notwendig, Lesen zu lernen, aber alles andere als wünschenswert, mit der Nase in einem Buch zu enden. Wenn man schon Geschichte und Fremdsprachen lernen musste, um die Schule abzuschließen, dann war es nur natürlich, solche Sachen so schnell wie möglich wieder zu vergessen. Denn sonst stach man hervor. Und das war keine gute Idee. Und sich Gedanken über die alten Zeiten zu machen – was war hier früher, was geschah hier und warum, warum? –, war eine sichere Methode, um weit hervorzustechen.
Natürlich würde man sich kaum verwundern, wenn Außenstehende sich nach derlei Dingen erkundigen, Städter, die sich die Zeit vertreiben wollen. Vielleicht hält mich diese Frau für so jemanden. Aber die jüngere Frau erfuhr über mich anderes, trotzdem schien sie meine Neugier verständlich zu finden.
Mrs Mannerow sagt, auch sie habe sich darüber gewundert. Zu Anfang ihrer Ehe. Warum setzten sie ihre Toten so bei, wo hatten sie das her? Ihr Mann wusste nicht, warum. Für die Mannerows war es einfach selbstverständlich. Warum, wussten sie nicht. Sie fanden es selbstverständlich, weil es schon immer so gemacht worden war. Das war eben ihre Art, und sie fragten sich nie nach dem Warum oder Woher.
Ob ich wüsste, dass das Gewölbe innen aus Zement sei?
Das kleinere auch außen. Ach, ja. Sie war schon eine ganze Weile lang nicht mehr auf dem Friedhof und hat es vergessen.
Sie erinnert sich jedoch an die letzte Beerdigung, bei der jemand im großen Gewölbe beigesetzt wurde. Als es zum letzten Mal geöffnet wurde. Das war für Mrs Lempke, die eine geborene Mannerow gewesen war. Es gab nur noch Platz für eine Person, und das war sie. Danach war für niemanden mehr Platz.
Ein Ende wurde aufgegraben, die Ziegelsteinmauer wurde geöffnet, und dann konnte man ein Stück weit ins Innere schauen, bevor ihr Sarg hineingestellt wurde. Man konnte sehen, dass schon andere Särge darin standen, entlang beider Seiten. Seit wer weiß wie langer Zeit.
»Ich bekam ein ganz komisches Gefühl«, sagt sie. »Doch, wirklich. Denn man gewöhnt sich daran, Särge zu sehen, die neu sind, aber nicht, wenn sie uralt sind.«
Und dann der kleine Tisch direkt gegenüber dem Eingang, ein kleiner Tisch am anderen Ende. Ein Tisch mit einer aufgeschlagenen Bibel darauf.
Und neben der Bibel eine Lampe.
Eine ganz gewöhnliche altmodische Lampe, eine von denen, die früher mit Petroleum brannten.
Sie steht immer noch da, vollkommen eingeschlossen, und niemand wird sie je wieder zu Gesicht bekommen.
»Niemand weiß, warum sie das so gemacht haben. Sie
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