Wozu wollen Sie das wissen?
haben es eben so gemacht.«
Sie lächelt mich mit gewinnender Ratlosigkeit an, ihre Brille vergrößert ihre nahezu farblosen Augen ins Eulenhafte. Sie nickt mehrmals zittrig mit dem Kopf. Als wolle sie sagen, das geht eben über unseren Horizont hinaus. Wie so vieles, nicht wahr? Ja.
Die Radiologin sagt, als sie sich die Mammographien aus dem Kreiskrankenhaus ansah, konnte sie erkennen, dass der Knoten nicht nur 1991 , sondern auch schon 1990 da war. Er hat sich nicht verändert. Immer noch an derselben Stelle, immer noch von derselben Größe. Sie sagt, man kann sich nie hundertprozentig sicher sein, dass so ein Knoten harmlos ist, außer man nimmt eine Biopsie vor. Aber man kann sich ziemlich sicher sein. Eine Biopsie ist immer ein invasiver Eingriff, und sie an meiner Stelle würde sie nicht vornehmen lassen. Sondern nach weiteren sechs Monaten wieder zur Mammographie gehen. Wenn es ihre Brust wäre, würde sie ein Auge darauf haben, aber sie vorläufig in Ruhe lassen.
Ich frage sie, warum mir niemand etwas von diesem Knoten gesagt hat, als er zum ersten Mal zu sehen war.
Oh, sagt sie, der muss wohl übersehen worden sein.
Dies ist also das erste Mal.
Solche Ängste kommen eben und gehen wieder.
Dann ist irgendwann eine Angst da, eine, die nicht mehr gehen will.
Aber für den Augenblick, indes die Maiskolben Quasten tragen und der Hochsommer sich neigt, dehnt die Zeit sich aus und bietet wieder Raum für Kabbeleien und Belanglosigkeiten. Keine scharfen Kanten mehr an den Tagen, kein Gefühl mehr von Schicksal, das durch die Adern summt wie ein Schwarm winziger und erbarmungsloser Insekten. Wieder dort, wo keine Veränderungen ins Haus zu stehen scheinen, die den Wechsel der Jahreszeiten übersteigen. Ein wenig Nachlässigkeit, Sorglosigkeit, sogar gelegentlich etwas Langeweile wieder im Bereich der Möglichkeiten zwischen Himmel und Erde.
Auf unserem Heimweg vom städtischen Krankenhaus sage ich zu meinem Mann: »Meinst du, sie haben Öl in diese Lampe gefüllt?«
Er weiß sofort, wovon ich rede. Er sagt, er habe sich dasselbe gefragt.
Botschaften
Mein Vater schrieb, dass die durch das Werk der Siedler entstandene Landschaft sich bis zu seiner Zeit kaum verändert hatte. Die Farmen waren immer noch von der Größe, die man damals hatte bewirtschaften können, die Waldungen bestanden fort, und auch die Zäune, obschon oft geflickt, standen noch an Ort und Stelle. Ebenso die großen Scheuern – nicht die ersten Scheunen, sondern Gebäude, errichtet gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, hauptsächlich zur Heulagerung und Beherbergung des Viehs im Winter. Und viele der Häuser – Ziegelsteinhäuser, die den ersten Blockhütten gefolgt waren – standen seit achtzehnhundertsiebzig oder -achtzig. Vettern von uns hatten sogar das Blockhaus beibehalten, das von den ersten Laidlaw-Jungen im Landkreis Morris errichtet worden war, und nur zu verschiedenen Zeiten Anbauten hinzugefügt. Das Innere dieses Hauses war verwirrend und reizvoll, da es darin um viele Ecken ging und immer wieder Stufen hinauf oder hinunter.
Jetzt ist dieses Haus verschwunden, die Scheunen sind abgerissen worden (auch der alte, noch aus Baumstämmen errichtete Kuhstall). Dasselbe ist mit dem Haus passiert, in dem mein Vater geboren wurde, mit dem Haus, in dem meine Großmutter ihre Kindheit verbrachte, und mit sämtlichen Scheunen und Ställen. Der Boden, auf dem die Gebäude standen, ist allenfalls an einer leichten Erhebung oder an einem Fliederdickicht zu erkennen – ansonsten ist er einfach Teil eines großen Feldes.
In der ersten Zeit gab es im Huron County einen schwunghaften Handel mit Äpfeln – viele hunderttausend Zentner wurden verschifft, so heißt es, oder an die Darre in Clinton verkauft. Dieser Handel ging vor vielen Jahren zugrunde, als die Obstbäume auf den Plantagen in British Columbia anfingen zu tragen, mit ihrem Vorteil einer längeren Vegetationsperiode. Jetzt mögen nur noch ein oder zwei Bäume mit ihren schorfigen kleinen Äpfeln übrig sein. Und die unverwüstlichen Fliederbüsche. Die einzigen Überbleibsel eines aufgelassenen Gehöfts; sonst kündet nichts mehr davon, dass hier je Menschen lebten. Zäune sind überall da, wo Viehweiden den großen Feldern wichen, abgerissen worden. Und natürlich sind gerade erst im letzten Jahrzehnt die niedrigen Ställe entstanden, lang wie Häuserzeilen, anonym und abweisend wie Strafvollzugsanstalten, aus denen die Haustiere nie herauskommen –
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