Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
Thomas auf dem Höhepunkt seiner schriftstellerischen Entwicklung. Die Dichte der Handlung ist so kunstvoll geknüpft, das Tempo so atemberaubend, die Auswahl der Figuren so raffiniert, daß man keinen Augenblick zögert, diesen Roman neben die besten der amerikanischen Literatur der 70er Jahre zu stellen. Die Fülle des Stoffs verleitet den Leser indes keinen Augenblick, am Kern des Romans vorbeizuträumen, und dieser Kern ist die Quintessenz der politischen Erfahrungen des Autors – und nicht nur seiner. Es wird deutlich, daß die amerikanischen Thriller-Autoren sich inzwischen auf ein Material stützen können, das seit der Ermordung der Kennedys, den Nixon-Jahren, Watergate bis hin zu den jüngsten Enthüllungen (etwa über Kissingers Amtszeit) in immer neuen Szenarios den amerikanischen Alptraum gnadenlos genau dokumentiert: die Allianz des wirtschaftlichen, militärischen, politischen und geheimdienstlichen Establishments mit dem organisierten Verbrechen. Was liegt da für uns näher als die Frage, wie lange wir uns noch die Illusion leisten wollen, dieser Alptraum ginge uns nichts an. Aber es sind wohl nicht nur unsere Belletristen, die immer noch glauben, diese Bundesrepublik liege nur wegen ihrer NATO-Mitgliedschaft näher an Dallas als am stillen Don.
Thomas wäre allerdings kein demokratischer Realist – und die USA längst ein KZ mit Las-Vegas-Styling –, gäbe es in seinen Romanen wie in der Wirklichkeit nicht immer eine Gegenposition, von der aus illusionslose und gewitzte Männer und Frauen an illusionslosen und gewitzten Modellen arbeiten, wie sich Politik auf dem Level, der uns am meisten tangiert, nämlich ganz unten, ertragen, benützen und verändern läßt. Ob das nun der »schlüpfrige Felsen des Sozialismus« ist wie im Fall der Sängerin Silk Armitage oder die gute alte Nachbarschaftsmasche der »Ploughman-Maschine«, für die demokratische Politik zunächst einmal im Austausch notwendiger Gefälligkeiten besteht, das wird nur der lange graue Alltag entscheiden. Daß diese beiden Modelle irgendwann kooperieren müssen, wenn wir noch viele solcher langen grauen und doch ganz nützlichen Alltage haben wollen, daran läßt der Autor Thomas bei aller genreüblichen Ironie keinen Zweifel. Allerdings auch nicht daran, daß das alles einen Dreck lohnt, wenn Abenteurer vom Schlag eines Arthur Case Wu von der Bildfläche verschwinden. Der Traum vom chinesischen Kaiserthron gehört zum guten Leben wie eine kluge, selbstbewußte Frau im Bett und – von Zeit zu Zeit – eine richtig schöne, schmutzige Wahlkampagne. Und natürlich eine dämmrige Bar, nachmittags, bevor es laut wird, in der Philip-Marlowe-Stunde, wenn man das Eis im Glas noch mit kleinen zufriedenen Lauten platzen hört. Ja, ich gebe zu, ich bin immer noch auf der Suche nach Mac’s Place, und ich hoffe, daß dort inzwischen der Barmann angeheuert hat, dem Ross Thomas die zutreffendste Frage in den Mund gelegt hat, die je ein Barmann gestellt hat: »Und was wollen wir heute nachmittag gegen das Elend tun?«
Jörg Fauser
Editorische Notiz
Eines Tages entdeckte ich, daß mein Vorgänger als Herausgeber der Ullstein-Krimis einen Titel von Ross Thomas ausgelassen hatte: Chinaman’s Chance. Der Grund war simpel: Das Buch war zu umfangreich. Das war eine Zeit, in der ein Reihentitel nicht mehr als 5,80 DM kosten durfte. Zuvor hatte man sich von 2,80 DM darauf hochgearbeitet. Aus diesem Grund gab es in den 70ern auch eine Periode, in der jeder Ullstein-Krimi egal ob Paul Edwards’ Protoagent John Eagle oder Ross Thomas’ The Fools in Town Are on Our Side (Unsere Stadt muß sauber werden) ̶ nur acht Druckbogen haben durfte. Ich gab dem gierigen Jörg Fauser das angestaubte Hardcover von Chinaman’s Chance zum Lesen (bei Ross Thomas hatte er das Recht der ersten Nacht). Am nächsten Tag rief er sofort an: »Das mußt du machen. Ungekürzt.«
Bei Ullstein mußte ich jeden Titel in jeder Reihe mit einer Kalkulation der Geschäftsleitung vorlegen. Inzwischen wußte ich, wie man da tricksen konnte. Aber bei dem Wälzer, no chance. Ich kalkulierte das Buch also auf realistische 9,80 DM und erhielt umgehend einen Anruf vom Geschäftsführer Viktor Niemann. Niemann war dabei, aus Ullstein den interessantesten Verlag der 80er zu machen, und hatte für neue Ideen immer ein offenes Ohr. Gerade erst hatte er zwei neue Reihen genehmigt, die ich entwickelt hatte: POPULÄRE KULTUR und ULLSTEIN ABENTEUER. Er stimmte zu, daß ein
Weitere Kostenlose Bücher