Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
Tonfall verfügt, dessen herbes Flair zu den Komplotts, die seine Helden und ihre Widersacher schmieden, so gut paßt wie die Drinks, die sie schlürfen, die Anzüge, die sie tragen, und die Frauen, die mit ihnen schlafen. Thomas gilt in den USA als herausragender Vertreter der an Raymond Chandlers Stil orientierten Autoren; dessen eigenen, von Chandler selbst, wie er glaubte, nur selten erreichten Maßstäben kommt Thomas zumindest in der Fülle und Geschmeidigkeit des Textgewebes so nahe wie kaum ein anderer Thrillerautor seiner Generation.
Ruppige Ellenbogen, höfliche Rede, ein hartes Grinsen und die besessene Lust an Einzelheiten zeichnet die Jungs aus, die Thomas am häufigsten und am einprägsamsten beschreibt – die hungrigen Emporkömmlinge aus kleinen Verhältnissen in verrußten Industriegegenden, die sich in der Gewerkschaftsbewegung, in der Politik, im Zwielicht jener ominösen demokratischen Prozesse nach oben geboxt haben. Die fast süchtige Liebe zum Detail ist es denn auch, die die Bücher des Exreporters und PR-Profis Thomas zu einer Fundgrube für Faktenjäger und Fiktionshungrige macht. Obwohl sie das phantastische Element des Thrillers nie verleugnen (das freilich selten vergessen läßt, daß die Wirklichkeit noch viel phantastischer sein kann), liefern sie gerade in dieser Anhäufung von Informationsschnipseln – von Automarken und Wohnungspreisen bis hin zu Mafia-Interna und PR-Usancen – eine über den üblichen Rahmen von Kriminalromanen noch weit hinausgehende Beschreibung der städtischen Zivilisation der USA. Und die Lebensabrisse der wichtigen Protagonisten, die Thomas sorgfältig in die Handlung einbettet, lesen sich – zusammengenommen – wie ein Who’s who, in dem auch die kleinen Leute vorkommen und die, die lieber nirgendwo vorkämen, ein Almanach des amerikanischen Traums, der den gebrochenen Versprechen und den eingeschlagenen Zähnen einen Ehrenplatz einräumt.
Ross Thomas ist damit gelungen, was der deutsche Sozio-Krimi seinerseits versprochen, jedoch nur sehr unvollkommen gehalten hat (was nichts daran ändert, daß diese Bemühungen ausgesprochen ehrenhaft waren, verglichen mit den Traumtänzereien, die in den Feuilletons verhandelt werden): Er hat dem Kriminalroman der Gegenwart eine Qualität erschrieben, die ich demokratischen Realismus nennen möchte.
VI
Politischer Durchblick hat im Kriminalroman Tradition, seit die Autoren der Black Mask in den 20er und 30er Jahren den Groschenheftlesern nicht mehr vorenthielten, was diese ohnehin aus der Zeitung wußten: die Korrumpierung von Justiz und Politik durch das organisierte Verbrechen. Wer über das schreibt, was auf den Straßen und in den Gerichtssälen los ist, in den Fabriken und den Rathäusern, in den Vernehmungszimmern und dort, wo Meinung zu Kasse gemacht und Träume versilbert werden, der weiß, was Macht ist und wie sie gemacht wird. Insofern sie ihre Aufmerksamkeit der politischen Maschinerie widmet, ist die realistische Literatur Amerikas immer auch Literatur, die sich mit dem Verbrechen beschäftigt und mit seiner Symbiose mit der Politik; und diese Wirklichkeitsnähe ist immer zutiefst demokratisch geprägt. Die linksliberalen, manchmal auch sozialistischen Sympathien, die einige seiner Protagonisten – und zweifellos Ross Thomas selbst – hegen, sind also durchaus gute Krimi-Tradition, wobei auch der deutsche Leser inzwischen weiß, wie ideologiefern diese Tradition zugleich ist. Allerdings dürfte bisher noch kein Autor gerade die Alltagspolitik und auch die Gewerkschaften mit solchem Sachverstand in das Genre eingebracht haben wie Thomas – und mit solcher Illusionslosigkeit. Dabei läßt er im Leser nie eine Spur von billigem Abscheu und selbstgerechter Verachtung aufkommen, sondern am Ende sogar so etwas wie Sympathie für die Menschen, die glauben, sie brächten die Puppen zum Tanzen, und doch selbst nur Marionetten sind. Und ebensowenig, wie er uns Verachtung gestattet, beläßt Thomas uns je die Illusion, wir wären gar nur die armen Opfer der schlimmen Verhältnisse. Dieser Autor ist eben ein Krimi-Klassiker und ein Kenner unserer Psyche: Bei ihm besteht von der ersten Seite an nie ein Zweifel daran, daß der Leser auch der Täter ist.
Mit Umweg zur Hölle (im Original Chinaman’s Chance) legte Ross Thomas 1978 sein bis heute umfangreichstes, melodramatischstes und packendstes Buch vor. Es zeigt den »Plotter« und den Stilisten, den Polit-Thriller-Autor und den demokratischen Realisten
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