Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
bißchen an ihm rum und lassen ihn auf dem neokolonialistischen Spielplatz zur Warnung für diejenigen zurück, auf die sie diese Woche böse sind. Als Symbolfigur für Korruption wäre kaum jemand besser geeignet gewesen als Ernie.«
»Ich hab ihn irgendwie immer gemocht«, sagte Durant.
»Ich auch, bis er sich uns als Leiche aufgedrängt hat.« Wu ging zu dem Minikühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus. Er drehte die Kappe ab, nahm einen Schluck und schaute Durant an. »Wir können’s abschreiben, wie?«
»Die dreihunderttausend? Komplett.«
»Wie viel hast du noch?« fragte Wu.
Durant trank das Glas leer, stellte es ab, drückte die Zigarette aus, verschränkte die Hände hinter dem Kopf, lehnte sich ans Kopfende des Bettes und starrte an die Decke. »Dreitausendzweihundertunddreiundzwanzig Dollar und eine American-Express-Gold-Karte, die noch ein paar Monate mitmachen wird, wenn wir’s nicht zu toll treiben. Und du?«
»Ungefähr das Gleiche«, sagte Wu. »Vielleicht zwei- oder dreihundert mehr. Ich hab Angst nachzuzählen.«
»Falls wir was zum Vorfinanzieren brauchen, könnte ich wahrscheinlich zehntausend von Emily borgen.«
»Was denn vorfinanzieren, um Gottes willen?« sagte Artie Wu, während er das Bier abstellte, sich die Jacke des weißen Geldanzuges griff, etwas vom linken Ärmel schnippte und sie überstreifte.
»Keine Ahnung.«
Wu drehte sich um und prüfte seine Erscheinung in dem Spiegel, der über dem Sekretär hing.
»Boy Howdy sucht uns.«
Durants langes Gesicht wurde schlagartig regungslos. Nichts bewegte sich. Weder die graugrünen Augen, noch der breite Mund, dessen Winkel stets nach oben gezogen waren. Artie Wu betrachtete ihn im Spiegel und versuchte irgendeine Reaktion auszumachen. Es hatte keinen Zweck, nach einem Erröten zu forschen, denn Durant besaß jene Sonnenbräune, die man nur durch jahrelangen Aufenthalt in heißen Ländern erwirbt und die nie zu verblassen scheint. Nicht einmal in kalten Klimazonen.
Durant löste schließlich die Hände hinter dem Kopf und erhob sich langsam. Aufgerichtet war er zweieinhalb Zentimeter größer als Artie Wu, wog aber mindestens fünfundzwanzig Kilo weniger. Auf den ersten Blick hielten ihn die meisten für hager, bis sie ihren Irrtum erkannten und es mit schmal versuchten. Wenn auch das nicht stimmig schien, verlegten sie sich auf schlank und beließen es dabei, weil ihnen nichts anderes einfiel.
Zu seiner Dauerbräune trug Durant Khakihosen und einen marineblauen Baumwollsweater mit V-Ausschnitt, jedoch kein Hemd. Seine sockenlosen Füße steckten in einem Paar teurer Halbschuhe, die lange nicht geputzt worden waren – falls überhaupt jemals. Er ging zum Spiegel und starrte auf Artie Wus Abbild. »Mit diesem Aussie-Schuft arbeite ich nicht«, sagte Durant in einem beiläufigen Ton, den Wu vor langer Zeit als unerbittlich zu deuten gelernt hatte.
»Okay«, sagte Wu. »Vergiß es.«
Es gab ein kurzes Schweigen, während sie einander im Spiegel anstarrten. Endlich fragte Durant: »Was hat Boy zu bieten?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht ist er bloß der Postbote.«
»Mit verdammt viel Strafporto – wie üblich.«
»Also?«
»Also bleibt uns keine große Wahl, oder?«
»Überhaupt keine«, sagte Artie Wu.
Emily Cariaga, aufgezogen von einer Urgroßmutter in Manila, die darauf bestanden hatte, mit ihrer Urenkelin ausschließlich Spanisch zu sprechen, bis die Kleine sechs war, musterte das furchige Geflecht aus sechsunddreißig blassen Narben, die kreuz und quer über Durants Rücken verliefen. Er saß nackt auf der Bettkante und rauchte eine Frühstückszigarette. Sie streckte die Hand aus und fuhr sanft über die längste der Narben. Durant erschauerte.
»Wie spät ist es?« fragte sie.
Durant schaute auf seine Uhr aus rostfreiem Stahl auf dem Nachttisch und streifte sie sich dann über das Handgelenk. »Fünf nach fünf.«
»Artie erschien mir gestern abend beim Dinner so – na ja, wenn es nicht Artie wäre, würde ich sagen, nachdenklich.«
»Artie ist pleite«, sagte Durant. »Wenn er pleite ist, denkt er viel nach.«
»Du hättest mich wegen Ernie fragen sollen.«
»Wahrscheinlich.«
»Ich kenne ihn seit eh und je.«
Durant drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Und?«
»Und Ernesto Argüello Bello Pineda war immer ein überaus charmanter Schweinehund. Absolut unzuverlässig.«
Durant wandte sich ihr zu, um sie anzuschauen, während sie auf dem Bett lag, zur Decke hochstarrte, die kleinen
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