Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
Titel Sommerhauptstadt zu Recht, da einst ganz Manila hierhergepilgert war, sobald im März die heiße Jahreszeit begann. Ganz Manila bedeutete: der Präsident, sein Kabinett, ausgewählte Mitglieder der Nationalversammlung, die Generäle, die Presse, die Neu- und Altreichen – und der ganze Schwarm von Staatsdienern und Mitläufern, die ihnen auf dem Fuß folgten. Durant hatte Baguio einmal den Ort genannt, wo »sich die Elite trifft, um zu essen und das Land abzuzocken«.
Aber in diesem Jahr verbrachte die Präsidentin einen heißen März in Manila und versuchte, ihr Land wieder zusammenzuflicken. Als Wu am Sommersitz des Präsidenten vorbeifuhr (wo kunstvoll gestutzte Büsche in mehr als drei Meter hohen Lettern das Wort »Mansion House« bildeten), geriet er in einen Verkehrsstau und bemerkte, daß die Soldaten, die den Eingang der Villa bewachten, Filme an Touristen verkauften. Wu sah darin ein Zeichen für den neuen Unternehmergeist überall im Lande.
Weil er lieber hundert Meilen in die verkehrte Richtung fahren würde, als nach dem Weg zu fragen, bog Wu falsch ab und fand sich bergabwärts auf der Sessions Road wieder, Baguios steiler Hauptgeschäftsstraße. Sie führte hinunter in den heillos verstopften Marktbezirk, aus dem er sich hupend und fluchend den Weg bahnen mußte. Schließlich landete er durch schieres Glück und bloßes Raten auf dem South Drive und fand schließlich die Hyatt Terraces, wo Mr. Welcome-Welcome ihm ein Zimmer reserviert hatte.
Kaum auf dem Zimmer angekommen, holte Wu eine Flasche Bier aus dem Minikühlschrank, trank sie zur Hälfte, schnappte sich das Telefon und rief die Frau an, die er insgeheim stets als die Reiche Witwe bezeichnete. Beim zweiten Läuten meldete sich ein Diener. Dann hörte er Emily Cariaga mit ihrer warmen, dunklen Stimme sagen: »Artie! Wie nett.«
»Wie geht’s, Emily?«
»Davon reden wir lieber später. Ich gebe dir Quincy.«
Das erste, was Quincy Durant sagte, war: »Wo bist du – im Pines?«
»Quincy«, sagte Wu. »Das Pines ist vor zwei Jahren abgebrannt.«
Nach kurzem Schweigen sagte Durant: »Ich hab’s verdrängt, schätz ich. Na schön, wenn du nicht im Pines bist, bist du im Hyatt.«
»Stimmt.«
»Ich hol dich in zehn Minuten unten ab, und dann gehen wir ihn besuchen.«
»Wen besuchen?«
»Den Vetter«, sagte Durant. »Wen sonst?«
Camp John Hay diente vornehmlich als Country Club für Mannschaften und Offiziere der US Air Force, die auf der Clark Air Base stationiert waren. Neben seiner Lage in anderthalb Kilometern Höhe hatte es Golf, Tennis, Schwimmanlagen, Bowling, amerikanische Filme, PX-Waren in verschwenderischer Fülle und einen ganzen Ozean Bier zu bieten. Aber vor allem bot es einen belebenden Klimawechsel. Gesittete Filipinos durften überdies gewisse Teile der sorgsam gepflegten Anlage als öffentlichen Park benutzen.
Es war fast dunkel, als Quincy Durant mit dem Honda Prelude, den er sich von Emily Cariaga geliehen hatte, vor dem Tor des Camps hielt und den wachhabenden MP fragte, wie sie zum Krankenhaus der Kaserne kämen. Der MP reichte Durant einen mit einem roten X markierten Lageplan. Während sie weiterfuhren, fragte Artie Wu: »Wer sind wir?«
»Geschäftspartner«, sagte Durant.
Im Krankenhaus des Stützpunkts geleitete eine militärische Hilfskraft Wu und Durant in ein kleines Büro, in dem ein junger uniformierter Militärarzt mit den Rangabzeichen eines Captains, die Beine lässig auf dem Schreibtisch, Time las. Er schaute hoch zu Durant, dann zu Wu und wieder zu Durant.
»Sind Sie der Durant, der angerufen hat?«
Durant nickte. »Ich bin Durant; er ist Wu.«
Der Captain legte die Time auf den Schreibtisch, nahm die Füße herunter und stand auf. »Ich bin Dr. Robbie. Gehen wir.«
Wu und Durant folgten dem Captain über einen Flur, eine Eisentreppe hinunter und einen kurzen Kellergang entlang. Der Captain steckte einen Schlüssel in ein Schloß und zog eine schwere Tür auf. Wu und Durant spürten einen eisigen Luftzug.
Captain Robbie langte um den Türpfosten herum und schaltete das Licht ein. Wu und Durant folgten ihm in den Raum, » und Wu schloß die Tür hinter ihnen. Drinnen war es kalt, und die einzigen Einrichtungsgegenstände in dem drei mal vier Meter großen Kühlraum waren zwei Bahren. Auf der einen lag ein Mann, nackt bis auf ein Badetuch, auf das in roten Lettern »Camp John Hay« gestickt war. Das Handtuch bedeckte den Lendenbereich des Mannes. Er hatte hellbraune Haut, ein
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