Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
damals zwei, weiß nicht mal genau, ob er es überhaupt so weit geschafft hat. Hab nie rausfinden können, was eigentlich passiert ist – mit ihm, mein ich. Aber ich dachte mir, ich schau mal hier vorbei und erweise ihm gewissermaßen die letzte Ehre, verstehen Sie?«
Wu nickte. Der Mann blickte sich um, und was er sah, gefiel ihm offensichtlich nicht besonders. »Sieht aus, als könnten sie es ein bißchen aufmotzen.«
»Die Leute vergessen verlorene Kriege lieber«, sagte Wu.
Der Mann nickte. »Vermutlich.« Er blinzelte Wu durch die dreiunddreißig Grad heiße flimmernde Luft an. »Sie sind kein Japaner, oder?«
»Nein«, sagte Wu.
»Für ’ne Sekunde hab ich gedacht, Sie könnten einer der Japse sein, die vielleicht meinen Daddy gekannt haben – ach, zum Teufel, Sie wissen schon, was ich gedacht hab!«
»Sicher.«
Der Mann drehte sich um, als wolle er dem Todesmarsch-Denkmal noch einen letzten Blick schenken. »Na ja, scheiß drauf, ich kann mich ja ohnehin nicht an ihn erinnern.«
Wu kehrte zu einem späten Lunch in einem Ferienhotel namens Agoo Playa ein, das einen herrlichen schwarzen Sandstrand am Südchinesischen Meer und Luxuszimmer für hundertvierzig Übernachtungsgäste zu bieten hatte. Die Stadt Agoo in der Provinz La Union lag am Fuße der Cordillera-Berge im Norden von Luzon und fast so weit nördlich wie Baguio selbst.
Wu vermutete, daß das Ferienhotel von der Marcos-Regierung oder von jemandem aus der engeren Gefolgschaft des Ex-Präsidenten erbaut worden war. Er saß als einsamer Gast in einem Speisesaal, in dem problemlos achtzig Personen Platz gefunden hätten, und bestellte bei einem der fünf jungen Kellner, die ihn umlagerten, ein Bier und den Meeresfrüchtesalat. Als das Bier kam, fragte Wu: »Wie viele Gäste haben Sie?«
»Auf den Zimmern?« sagte der junge Kellner.
Wu nickte.
»Vier.«
»Glauben Sie, daß das Geschäft sich beleben wird?«
Der Kellner zuckte die Achseln. »Wenn es heiß wird.«
»Es ist jetzt schon heiß.«
»Heißer«, sagte der Kellner.
Wus letzter Halt vor Baguio galt dem Marcos-Park-Clubhaus, das über einen Golfplatz mit achtzehn Löchern verfügte. Er trank eine Tasse Kaffee, bewunderte das leere Golfgelände und das fast leere Clubhaus. Er war jetzt hoch in den Bergen, und die Temperatur war von eben noch dreiunddreißig auf etwa fünfundzwanzig Grad gefallen. Der Parcours unter ihm sah grün, widerstandsfähig und einladend aus, und Wu fand es schade, daß niemand spielte.
Als er seine Tasse geleert hatte, ging Wu hinaus auf die mit Steinplatten belegte Veranda und starrte hoch zu dem riesigen steinernen Kopf von Ferdinand Marcos, der auf ihn herabglotzte. Er hatte Bilder von diesem hoch auf dem eigenen Berg thronenden Kopf gesehen, doch war es ihm nie gelungen, seine wahren Ausmaße einzuschätzen. Jetzt tippte er, daß er fünf oder sechs Stockwerke hoch sein mußte.
Neben Wu stand der einzige andere Tourist – ein Mann in den Fünfzigern, der ein Fernglas benutzte, um Marcos’ Kopf genau betrachten zu können. Immer noch das Fernglas vor den Augen, sagte der Mann: »Sehen Sie sich das bloß mal an.«
»Was?«
»Die Nase«, sagte der Mann mit neuseeländischem Akzent. Wu schaute hoch zu Marcos’ Nase mit den geblähten Nüstern. Er konnte gerade noch zwei winzige, mit Seilen gesicherte Gestalten erkennen, die sich von der linken steinernen Augenbraue zur Nase schwangen. Die eine Gestalt hielt etwas Weißes in der Hand.
»Was machen die da?« sagte Wu.
»Hier. Sehen Sie selbst.« Der Mann reichte ihm das Fernglas. Als Wu es an die Augen setzte und die Schärfe einstellte, sagte der Mann: »Wenn ich nicht völlig danebenliege, schieben die Kids dem alten Knaben grad ’nen Popel in die Nase.«
Jetzt hatte das Fernglas die richtige Schärfe. »Vielleicht ist es Dynamit«, sagte Wu.
»Hmm«, sagte der Mann aus Neuseeland. »Daran hab ich ja überhaupt nicht gedacht.«
Artie Wu schätzte manchmal, daß fünfzig Prozent der Filipinos, deren Bekanntschaft er gemacht hatte, schon einmal in San Francisco gewesen waren. Und von denjenigen, die dort gewesen waren, behaupteten immer hundert Prozent, die kalifornische Stadt erinnere sie an Baguio.
Er kaufte ihnen die Ähnlichkeit nicht ab. Beide Städte hatten Hügel und kühles, sogar frostiges Wetter, aber Baguio erinnerte Artie Wu immer an ein Pinienholzstädtchen im Süden der USA während eines Kälteeinbruchs im Frühling. Asheville zum Beispiel.
Trotzdem trug Baguio den
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