Wünsche
zu machen. Er wollte die staubige Kaufhausdunkelheit Polens für immer hinter sich lassen. So ließ er zum Glasdach einen Lichthof bauen, wo die Kundinnen in blauer Atmosphäre Tee trinken, Törtchen essen und sich gegenseitig ihre Beute vorführen konnten. So fingen die Herzen der Damen aus einem langsamen Kleinstadtleben heraus schneller an zu schlagen. So soll es jetzt auch wieder sein. Das will Friedrich, auch wenn Mutter Martha das Café im Lichthof längst abgeschafft hat. Ist er ein Narr? Plötzlich hat Friedrich Wünsche das Gefühl, alles kann noch passieren in seinem Leben, in dem er längst begriffen zu haben glaubte, dass das meiste schon passiert ist.
Kannst du mir Geld leihen? Zweihundert, zweihundertfünfzig, bitte? Gebe ich dir heute Abend zurück, versprochen. Kurz bevor er auf die Straßen hinaustritt, hat Meret ihn eingeholt und unauffällig in die Seite gestoßen.
Was hast du vor?
Beide schauen sie zu, wie draußen die Transporteure das zweite Türblatt vom Laster heben. Die grüne Plane schlackert im Wind.
Schwebebahn fahren, sagt Meret fast zärtlich. Sie stehen Schulter an Schulter.
Wie nah sie sich einmal waren.
12.
Bald ist es Mittag. Das Fell ihrer neuen Wildlederjacke kitzelt das Kinn, die Wange. Das Herz? Vera steht in einem schmalen Streifen Sonne beim Marktplatz. Auf der anderen Seite, wenige Schritte von Haus Wünsche entfernt, verteilt unter einem rot-weiß gestreiften Marktschirm der Bürgermeister, der donnerstags mit Karatsch Skat spielt, Blumentöpfe mit Glücksklee und winzigen Schornsteinfegern aus Pfeifenputzern, weil heute Silvester und in wenigen Monaten Kommunalwahl ist. Auch bei Haus Wünsche ist richtig was los. Sie bauen die alte Drehtür wieder ein? Zwei Türblätter stehen bereits an die Hauswand gelehnt. Ein drittes, wie die anderen mit geschliffenem Glas im oberen Drittel, stellen zwei Männer hinzu. Eine winterbleiche Verkäuferin steht dabei und berührt immer wieder das Holz wie eine Reliquie. Daneben steht Friedrich, der soeben auf die Straße getreten ist. Heute sieht er so distanziert aus in seinem Anzug und ohne Mantel. Als er dreizehn war, hat er sein knappes Taschengeld noch immer verbissen in Spielwarenläden getragen und in Legosteinen angelegt, bis eines Tages die Verkäuferin fragte: Bist du nicht eigentlich zu alt dafür? Ist er deswegen mit vierzehn ins Internat gekommen? Wie er jetzt dasteht, sieht er fast so aus wie früher, als nicht nur sein Haarschnitt, die Clubjacke und die vorsichtige Körperhaltung auf eine Distanz zu den eigenen Wünschen schließen ließen. Vera lächelt, aber hebt nicht die Hand, um zu winken. Jung sieht Friedrich zwischen all den anderen Passanten da drüben aus. Jung und verlegen. Sie meint zu sehen, dass er mit einem großen Tierblick zu ihr zurückschaut. Vielleicht sieht er auch schlecht.
Und wie windig es heute ist.
13.
Auf der anderen Seite des Platzes steht eine Frau mit einer großen Tasche. Ist das Vera, da drüben vor dem Fotoladen Kirsch? Mit Kirsch sind sie alle drei zur Schule gegangen. Meret, Vera und er. Aber mit wem ist man hier nicht zur Schule gegangen?
Tief atmet Friedrich die kalte Luft der Straße ein. Er wird in Zukunft regelmäßig joggen gehen, denn ab jetzt wird er viel Zeit hinter der niedrigen, satinierten Tür verbringen müssen, die den Verkaufsraum vom Büro Wünsche trennt. Noch immer steht auf der Scheibe KONTOR ins Glas geätzt. Der Schriftzug ist so alt wie Haus Wünsche. Gäbe es ihn nicht mehr, er würde ihn wiederherstellen lassen. Im Kontor hat er mit fünf bereits unter dem Schreibtisch des Großvaters gesessen und auf vergilbten, ausrangierten Blöcken irgendwelche Rechnungen ausgestellt. Zum Spaß, aber mit ernstem Gesicht. Er hat auf das Leben gewartet, dort unter dem Schreibtisch. Die geputzten schwarzen Schnürschuhe des Großvaters hatte er dabei gesehen, die ruhig und fest auf dem Linoleum standen wie die Löwentatzen des Schreibtischs aus Eiche auch. Jetzt ist Friedrich fünfundvierzig. Was noch kommt, soll gut sein. Muss gut sein. Friedrich hat die Augen zusammengekniffen. Auf dem Marktplatz vor dem Haus Wünsche parken zwischen weißen Streifen Autos, aus denen schwerfällig Paare mittleren Alters in zweifarbigen wetterfesten Überlebensjacken steigen. In der Provinz zu leben ist wie Warten. Provinz liegt außerhalb der Zeit, nichts ändert sich, alles bleibt gleich und noch dazu im Schatten. Es wird Bewegung in den Ort hier bringen und Wünsche wecken, wenn er,
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