Wünsche
Friedrich, die Zeit mit seinem Kaufhauskonzept zurückdreht.
Er kneift die Augen zusammen.
Und ist sie das wirklich, da auf der anderen Seite vom Marktplatz? Ja schon, das muss Vera sein.
14.
Drüben bei Haus Wünsche mühen sich jetzt die zwei Männer mit dem letzten Türblatt ab. Vera schaut auf ihre neuen Westernstiefel hinunter. Alles, was du hast, hat irgendwann dich, würde jetzt Karatsch sagen und dazu sein linkslastiges Lächeln aufsetzen. Und wenn plötzlich der Mann von Salomé Schreiner sie, Vera, von hinten und hier so stehen sähe? Sie dreht sich zum Schaufenster von Foto Kirsch um. Wenn er sich dann aus Versehen bei ihr einhaken und sie zärtlich ein Stück mit sich mitziehen würde, bis er den Irrtum bemerkt? Sicher ist dieser Mann von Salomé Schreiner ein guter Mensch, aber wer will gute Menschen treffen, wenn er in Eile ist?
15.
Sie hat sich umgedreht, die Frau da drüben, die wahrscheinlich Vera ist, aber eine Vera, die fremd aussieht. Doch Friedrichs Verwunderung darüber ist nicht heftiger als das plötzliche Aufschrecken einer Taube vor dem Fenster. Er schiebt die Hände in seine Anzugjacke. Vera war schon immer ein sonderbares Mädchen. Wegen Vera hatte Mutter Martha Friedrich mit vierzehn in der öffentlichen Parkanlage beim Bahnhof erwischt. Er bettelte.
Warum das, fragte Mutter Martha.
Darum, sagte Friedrich.
Was hätte er auch sagen sollen? Vera ist schuld. Oder Meret, Meret, die jetzt vor Friedrichs Augen quer über den Marktplatz und am Lottobüdchen vorbei auf den Laden von Foto Kirsch zuläuft. Du bist ein Feigling, hatte Meret damals auf dem Schulweg zu ihm gesagt. Du traust dich ja nicht mal, arm zu sein.
Wie arm denn genau?
So arm wie die da drüben zum Beispiel.
Meret hatte auf Vera gezeigt, wie sie ihnen auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Morgenlicht entgegenkam. Vera war damals kein Mädchen wie andere, war eher ein zorniger Vogel in einer fusseligen Strickjacke, der in einem kleinen, heißen Moment und früher als andere begriffen zu haben schien, was das Wichtige im Leben ist. Wie jeden Morgen waren sie auch an diesem zu dritt zur Schule gegangen. Nachmittags hatte Friedrich sich mit dem Hut in den Park beim Bahnhof gesetzt.
Im folgenden Schuljahr hatte Mutter Martha ihn für den Rest der Schulzeit ins Internat nach Sankt Peter-Ording geschickt.
16.
In Kirschs Schaufenster sieht Vera ihre neue Silhouette, die Gestalt einer noch ziemlich jungen Frau in Jeans und Felljacke. Das Muster der Straße hinter ihr und ihre eigene Kontur spiegeln und schichten sich geisterhaft übereinander im Glas, während aus dem Schaufenster Fotos von gelackten Hochzeitspaaren zurückschauen.
So heiratet man in der Provinz, sagt eine Stimme hinter ihr. Eine zweite, etwas kleinere Silhouette schiebt sich mit ins Bild auf der Glasscheibe.
Atelier Kirsch – und schon sieht alles Banane aus!
Finger streicheln wie nebenbei den Fellkragen von Veras neuer Jacke. Finger greifen ihr ins Haar.
Hat Karatsch dich neu ausgestattet?
Als Vera versucht, den Kopf zu drehen, bohren sich die Hände, die eben noch zärtlich waren, spitz in ihre Wange.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße! Die Frau, die zu der Stimme gehört, lässt hörbar die Augen glitzern. Etwas Schwüles liegt in der Luft, obwohl Dezember ist.
Meret, bist du es, Meret?
Lange nicht gesehen, was, Süße? Ein scharfkantiges Lachen, kalt und fremd, fährt Vera über den Mund, bevor sie weiterfragen kann.
Wieder will Vera den Kopf drehen, wird aber mit diesen Krallen, die sich wie künstliche Fingernägel anfühlen, davon abgehalten. Nicht zum ersten Mal kommt ihr der Gedanke, dass man vor Meret Angst haben muss.
Meret, bist du es?
Dreh dich bloß nicht um, faucht die Stimme in ihrem Nacken. Ich sehe heute aus wie der Tod.
17.
So nah wie Meret jetzt drüben bei der anderen Frau steht und die Hand an sie legt, muss die Vera sein.
Wie sie die Hand an sie legt, wiederholt Friedrich stumm und verwirft das Bild gleich wieder, als sich ein Bus ins Blickfeld schiebt und die Sicht auf die beiden Frauen versperrt. Verärgert klebt der Fahrer mit dem Gesicht dicht hinter der Scheibe und schimpft über den Laster mit der grünen Plane, der ihm den Weg versperrt. In drei oder vier Stunden wird dieser oder ein anderer Bus Friedrich den halben Hang hinaufbringen, zu den Mettbrötchen, zu Vera und Karatsch, zu den alten Freunden und dem alten Film.
Warum machte er eigentlich das alles hier?
Ich muss wissen, warum ich
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