Wünsche
Ankunftszeit 18.27 Uhr. Alle schweigen.
Hannes Augen suchen Veras im Rückspiegel. Sie sind so blau wie die helleren Karostreifen auf seinem Flanellhemd. Sie wird rot. Sein Blick erinnert sie an Kennedy und dessen Blick, diesem Ausdruck bei Männern, die noch viel vorhaben, aber wissen, für manches ist es schon zu spät.
Warum konntest du eigentlich nicht als Vera Conrad verschwinden? Meret hat sich zu ihr umgedreht.
Ach, sagt Vera, die hätte sich nicht getraut.
Warum?
Die hatte keine Sommersprossen.
Der Himmel draußen ist jetzt, gegen späteren Nachmittag, von einer tiefen Bläue, wie sonst das Meer, spiegelblank, azurn, glitzernd wie ein kostbarer Stein. Er dehnt sich nach allen Seiten, groß und ruhig, und man hätte Lust, hineinzuspringen. Das Licht im August ist für dieses Jahr längst vorbei. Aber schönes, sonniges Herbstwetter hat mehr Reiz als schönes Wetter zur Sommerzeit, weil es unerwartet kommt, die Luft frisch ist und mit Abschied darin. Es wird nicht mehr lange anhalten, wird nicht mehr lange anhalten können. Es ist ein Glücksfall, ein Geschenk, eine unerwartete Fügung, so ein Wetter.
Vera?
Ja?
Meret ist nicht mehr angeschnallt. Sie kniet auf dem Beifahrersitz und umklammert die Kopfstütze.
Warum bist du eigentlich wieder zurückgekommen?
Weißt du doch längst.
Sag es mir.
Draußen vor dem Autofenster fliegt ein einzelnes Haus vorbei. Hotel Flandern. Die Schrift steht in fetten Buchstaben senkrecht von der Hausecke ab.
Vera sagt: Weg bin ich wegen all der Leute, die ich schon so lange kenne. Aus dem gleichen Grund bin ich wieder zurückgekommen. Ich dachte immer, das ist schlimm, dass ich bei uns nur die sein kann, die alle kennen. Jetzt weiß ich, genau die kann ich nur sein.
Dann bist du auch wegen mir zurückgekommen?
Auch.
Das freut mich jetzt aber, sagt Meret und trommelt auf die Kopfstütze. Ich weiß, ich habe einen Vogel. Alle denken das. Ich auch. Aber auf den ist wenigstens Verlass.
Deswegen setzt du dich jetzt bitte auch wieder richtig hin, Meret, befiehlt Hannes in einem Ton, in dem man mit einem Kind spricht. Meret gehorcht.
Und das mit dem Ausweis, was sollte das?, fragt sie noch, während sie den Rock glattstreicht und sich wieder anschnallt.
War ich nicht, die auf dem Bild. Sah man doch, sagt Vera.
Meret lacht und holt eine Packung Schokoladenpralinen aus ihrer Tasche.
Na ja, wahrscheinlich hattest du auch noch andere Probleme da in der Fremde, sagt sie und knistert mit einem dünnen lila Papier, während sie die Schokolade für Hannes auspackt. Dann hält sie die Packung zwischen den beiden Kopfstützen hindurch für Vera hin.
Da, Vollmilch und Zartbitter, aber innen sind sie alle gleich.
Stunden später, als es schon Nacht ist und sie zu fünft, aber ohne den sedierten Karatsch aus der Clinique Vilette kommen, läuft Friedrich Wünsche mit dem Volvo-Schlüssel los, um den Wagen zu holen. Meret kann nicht mehr laufen. Sie hat für den Ausflug neue Schuhe angezogen. Während Meret barfuß und sie alle in ihren Schuhen Wünsche ein Stück entgegengehen, greift Jo bei der Auffahrt zur Notaufnahme um einen der Laternenmasten. Er nimmt Schwung und legt sich fast waagerecht in die Luft. Sekunden scheint er sich so zu halten, wie ein Akrobat.
Was du alles auf dem Schiff gelernt hast! Vera lacht.
Wenn ich ehrlich bin, eine Menge. Er geht auf sie zu, während er sich die Hände an den Hosen abwischt. Weißt du eigentlich noch, Mutter, wie wir die neuen Sicherheitsschuhe, die gelbe Regenkleidung, das blau karierte Flanellhemd und die drei Marken-T-Shirts fürs Schiff gekauft haben? Wir haben alle die Sachen zusammen gekauft.
Ja, weiß ich.
Packen musste ich dann allein. Er küsst sie auf die Stirn. Verlegen schaut sie zu Hannes.
Wie hast du ihn eigentlich kennengelernt, Mutter?
Wen?
Kennedy.
Vera blickt zu ihrem Sohn hoch.
Warst du schon immer so groß?
Er nickt.
In diesem Jahr wird das Jahr im September beginnen, und sie würde jetzt gern rauchen.
Dank an Hans Wetzel und alle anderen, die mir geholfen haben. J. K.
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