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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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heute?
    Im Kino?
    Nein, in einer Kirche.
    Hannes lacht. Kirche, das passt.
    Vera setzt sich auf das Gästesofa und schiebt die Hände unter die Oberschenkel. Wenn sie ehrlich ist, hat Reverend Jonathan nicht den alten Film, sondern sie auf das Programm gesetzt, sein schwarzes Schaf, das ihm an Silvester zugelaufen ist. Jetzt hat das Schaf sich nicht einmal verabschiedet, weder von ihm noch von dem Mann am Tresen, der ihr bei jedem Wiedersehen eine Hand gegeben hat, die ihr dafür, dass sie bis zu den Fingern tätowiert war, erstaunlich weich vorkam. Der Heiland am Kreuz über dem Altar in St John on Bethnal Green mit seiner schmuddeligen Schleife vor dem Geschlecht wird ihr den raschen Abgang verzeihen müssen.
    Du hast recht, Hannes, sagt sie, Kirche passt wirklich besser als Kino. Ich habe ja immer nur geglaubt, dass ich Schauspielerin bin oder eines Tages sein könnte. Gewesen bin ich eigentlich nur ein kleines, nettes, etwas räudiges Ding, auf das vor vielen Jahren einer ganz gut die Kamera gehalten hat. Richtig Schauspielerin zu sein aber hätte bedeutet, mich anstrengen zu müssen, eine ganz andere zu sein. Ich hätte schreien können müssen, ohne zu schreien, lächeln ohne zu lächeln oder weinen ohne zu weinen. Ich kann aber nur leben ohne zu leben. Das wenigstens habe ich längst bewiesen.
    Wo?
    Hier, in dem Haus. Sie zeigt mit dem Kinn nach oben.
    In Gedanken fährt sie mit der Hand unter ein Kissen auf dem Gästesofa und hat Karatschs Schlafanzug in der Hand. Ja, Vera Conrad, denkt sie, du wärst so gern in Cannes auf dem roten Teppich fotografiert worden, stattdessen bist du gedankenlos über den Bettvorleger in Karatschs Schlafzimmer gestolpert und in sein Bett gefallen.
    Hannes dreht sich auf dem Schreibtischstuhl zu ihr um.
    Übrigens, sagt er, als wir vorhin auf euer Haus hier zugingen, habe ich zu spät bemerkt, das ist nicht so richtig die Situation, die ich mir wünsche.
    Schon klar, sagt sie, wegen damals.
    Er nickt. Sie auch. Mehr nicht. Sie stopft Karatschs Schlafanzug unter das Kissen zurück.
    Kann ich eigentlich ein Stück von deinem Film sehen?
    Klar.
    Hannes haut erleichtert auf eine Taste, und das Gesicht von Meret erscheint auf dem Bildschirm.
    11.
    Auf dem Rückweg zur Bancroft Road kommt kein schwarzer Mann mehr auf sie zu. Aber jemand hat sein Zelt auf dem Stück Rasen zwischen den kaputten Sitzbänken aufgebaut. Unter dem Streulicht der einzigen Straßenlaterne, die sich besorgt über ihren traurigen Standort beugt, tritt der Reißverschluss des Eingangs wie eine exakte Narbe aus dem gespannten Stoff hervor. Davor lehnen sich ein paar Wanderstiefel aneinander, der Größe nach die einer Frau.
    Kennedy, Karatsch und Wünsche gehen weiter. Jo bleibt stehen und wünscht sich, mit einer Taschenlampe am Eingang dieses Iglus aus Polyester herumkratzen zu können, bis ein Mädchen öffnet, das in erster Linie schön ist und erst in zweiter obdachlos. Er geht näher an das Zelt heran und bückt sich, um einen der beiden Wanderschuhe hochzuheben. Eine Blüte darunter, helllila, und mehr Kraut als Blume, richtet sich wieder auf, als hätte sie auf Erste Hilfe gewartet. Den Namen der Blume hat Jo wie ein Gefühl auf der Zunge, während die Blüte ungewöhnlich lange weiße angriffslustige Giftkrokusgriffel ausstreckt, die etwas mädchenhaft Nacktes, etwas Obszönes haben.
    Verpiss dich, sagt eine Frauenstimme gedämpft durch die Haut des Zelts.
    Sorry.
    Behutsam setzt Jo den Wanderschuh wieder ab. Vor Schreck ist ihm aber der Name der Pflanze wieder eingefallen. Herbstzeitlose. Plötzlich sieht die Frau in dem Zelt, die zu der Stimme gehört, für ihn wie die Frauen in Schießbuden auf der Kirmes aus. Dünn wie ihre Zigaretten und das Haar so straff zum Pferdeschwanz gebunden, dass es schütter aussieht, heißen sie in seiner Vorstellung alle Helga.
    Er geht weiter. Diese Nacht wird kurz sein. Ihre Herzen werden klopfen, und draußen wird der Wind wehen. Sonntag müssen sie früh aufstehen, um die Fähre bei Dover zu bekommen.
    Eine gute halbe Stunde später fängt Karatsch in Kennedys Schlafzimmer bereits an zu schnarchen. Friedrich Wünsche hat sich ins Klappbett eines kleinen Mädchens zurückgezogen, das jetzt auf einem Hausboot lebt. Kannst du dir eigentlich vorstellen, was für einen Ärger wir mit den Schuhgeschäften am Ort haben, seitdem wir die handgemachten Filzschlappen aus dem Thüringer Wald verkaufen?, hat er Karatsch vor dem Schlafengehen noch gefragt, während der sich mitten

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