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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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bergische Kühe auf einer Weide stehen. Wie viel Gewicht die Frage plötzlich hat, weil Wünsche ihn mit vollem Namen anspricht. Joseph Conrad, Mutter hat Jo nach ihrem Vater so genannt. Warum, weiß man nicht.
    Ich will einfach Joseph Conrad werden, sagt Jo und sucht die Augen von Wünsche im Rückspiegel.
    Du willst Schriftsteller werden?
    Nein, zur See fahren.
    Und kann mir mal jemand sagen, was das jetzt heißt?, unterbricht sie Karatsch. Er zeigt auf ein Verkehrsschild am Rand der Autobahn. No hard shoulder, liest er vor.
    Kein befestigter Seitenstreifen, sagt Friedrich Wünsche.
    Was, mehr nicht? Karatsch sackt enttäuscht in sich zusammen.
    Dover. Es ist 9   :   30   Uhr. Bei der Auffahrt zur Fähre steht eine Möwe mit steifen Beinen und vorgewölbter Brust, als wolle sie die Pässe sehen. Jo manövriert im Verladehafen den Volvo auf Position  I in Wartereihe  II . Karatsch kräht: Kaffee holen! Du bist der Jüngste, Sohn. Du gehst.
    Die Schlange an der Kaffeebar ist lang, eine einzelne Frau bedient in einem ärmellosen dunkelblauen Kleid. Sie hat schöne Arme, in die man sich verlieben könnte, aber steht ältlich gekrümmt an ihrer strahlend neuen Espressomaschine, vor der sie sich zu fürchten scheint.
    Als Jo mit drei Bechern Kaffee zurückkommt, lassen die ersten Autos den Motor wieder an. Die Auffahrt zur Fähre ist freigegeben, und er freut sich auf den Rhythmus der Schwellen, wenn der Wagen auf die Rampe fährt. Er freut sich auf den Geruch nach Diesel und Meer und Fisch. Er liebt es, wenn die Dinge deutlich die Sprache ihres Materials sprechen. Nie enttäuschen sie einen durch falsche Worte. Auf der Fähre wird er kein Full English Breakfast zu sich nehmen, das, egal ob Rührei oder Toast, nach Karton schmeckt. Davon ist ihm auf der Hinfahrt schon einmal übel geworden. Er wird sich einen Smooth Drink holen, der mehr kostet als das ganze Frühstück, und draußen auf Deck herumstreunen. Mit den Rauchern wird er dort stehen, vorn am Bug, wo das Meer weiß ist und ein Laken aus Gischt. Oder eher ein Kessel siedender Milch? Er wird an das andere Schiff denken, das er soeben verlassen hat, die Hiroshima . An manchen Tagen schien der riesige Container im Fahren still zu stehen und dabei den immer gleichen Abstand zur fernen Horizontlinie zu halten, die das, was man sieht, von dem trennt, was noch keiner gesehen hat.
    Ab jetzt fahre ich, her mit dem Autoschlüssel, sagt Karatsch, kaum dass sie in Calais angelegt haben. Er sagt es in einem Ton, der befiehlt: Her mit dem schönen Leben. Der Volvo verlässt die Fähre. Eine Industrieroute führt vom Hafen ins Stadtzentrum von Dünkirchen. Route de la maison blanche , liest Friedrich Wünsche laut vom Straßenschild ab und zeigt auf den Natozaun, der die Straße des weißen Hauses von einem verwahrlosten Gelände trennt, bei dem es nichts zu schützen oder verteidigen gibt außer ein paar lückenhaft verlegten Steinplatten, die hässlich, aber bestimmt panzertauglich sind. Ein weißes Haus ist nirgendwo zu sehen.
    Sieht hier ja aus wie früher in der DDR , sagt Karatsch, ich weiß, wovon ich rede. War ja oft genug drüben. Er dreht sich zu Friedrich Wünsche auf dem Rücksitz um. Habe ja auch ein Buch über die Musikszene in Peitz geschrieben, und ich sag dir eins: So ein Buch, das verleiht dem Leben einen Pin.
    Wie bitte?, fragt Friedrich Wünsche. Was denn für einen Pin?
    Karatsch stellt das Autoradio lauter.
    Lasst einfach mal los, Leute, sagt er.
    Baby, please come home, singt ein Mann, der klingt, als hätte er sehr lange, sehr dünne und fettige Haare. Die Aufnahme muss aus den Sechzigern sein.
    Ist ja ein Weihnachtslied, sagt Karatsch empört und stellt das Radio wieder ab. Angestrengt sieht er aus. Gleich wird er einen Witz erzählen.
    Kennt ihr den?
    Karatsch schwitzt, das Gesicht ist rot wie drei Fleischtomaten. Mit der Linken wischt er sich immer wieder über das rechte Auge. Danach schaut er jedes Mal mit großer Geste auf seine Uhr.
    Wie spät ist es denn?, fragt Jo.
    Kann ich nicht erkennen, sagt Karatsch. Sein rechter Mundwinkel hängt plötzlich tiefer als sein linker. Ist das Missmut wegen Mutter oder eine Art angestrengter Verzweiflung, auch wegen Mutter? Jo schaut zum Himmel. Chrysanthemenwolken. Die helfen jetzt auch keinem, aber darunter taucht bereits aus dem Bauklötzchengewimmel einer mittelgroßen Stadt ein quadratischer Turm auf. Dünkirchen, sagt Friedrich Wünsche und zeigt Richtung Horizont. Karatsch ruckt mit dem Steuer nach

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