Würfelwelt (German Edition)
eindeutig schafiger Laut. Es dreht den Würfelkopf kurz in meine Richtung, wendet sich um und stapft davon, wobei es ein weiteres Mal verdrossen blökt.
In dieser Welt gibt es also noch andere Bewohner, wenn sie auch ein bisschen unfertig wirken. Ich selbst bin da wohl keine Ausnahme – ich kann nur ahnen, dass mein eigenes Gesicht kaum intelligenter aussieht als das des Kastenschafs.
Während ich die Hügeltreppen hinauf klettere, stelle ich Theorien auf, die meine Lage erklären könnten.
1. Ein Traum? Kann man nie wirklich ausschließen. Es gibt ja Leute, die behaupten, das ganze Leben sei nur einer und erst, wenn man stirbt, wache man in der richtigen Welt auf. Kneifen hilft nicht – ich könnte träumen, dass ich mich kneife. Außerdem habe ich keine Finger. Die Welt um mich herum wirkt allerdings sehr real. Wenn das ein Traum ist, dann ein sehr ungewöhnlicher.
2. Drogen? Ich habe keine Ahnung, was sie mit dem Verstand anstellen können – ich habe nie welche genommen. Glaube ich jedenfalls.
3. Die versteckte Kamera? Nein.
4. Eine … wie nannte man das noch gleich? Irgendwas mit S. Hat was mit Illusion zu tun, und mit … Maschinen … Seltsam, die Wörter scheinen vor meinem Geist regelrecht in die hintersten Ecken meines Bewusstseins zu flüchten. Es ist, als sei da etwas in mir, das mich daran hindern will, klar zu sehen. Unwillkürlich versuche ich, mein Gesicht anzufassen, nach etwas zu tasten, das vielleicht vor meinen Augen befestigt ist, mir den Blick auf die Wirklichkeit versperrt. Aber ohne Hände ist das schwierig.
5. Vielleicht ist ja alles um mich herum ganz real, und etwas Merkwürdiges ist mit der Welt passiert. Ein schief gegangenes Experiment am Kernforschungszentrum CERN, ein physikalisches Phänomen, das die bekannten Naturgesetze außer Kraft setzt und alles in Würfel verwandelt, was vorher … anders war. Okay, ich verstehe nichts von Physik, und das klingt wirklich ziemlich unwahrscheinlich. Andererseits hab ich mal gelesen, dass die Wissenschaftler nicht wissen, woraus 70% der Materie im Universum besteht. Aus Würfeln vielleicht?
Spekulieren bringt mich nicht weiter. Ich kann diese Erklärungsmöglichkeiten weder beweisen noch widerlegen. Höchstwahrscheinlich liege ich mit allen daneben. Besser, ich konzentriere mich auf die unmittelbaren Dinge, ob sie nun rechteckig sind oder nicht.
Die Sonne ist inzwischen ein gutes Stück den Himmel hochgeklettert. Ganz schön flott kommt mir das vor. Ein vages Unbehagen befällt mich. Keine Ahnung, warum.
Ich erreiche den Gipfel des Hügels und sehe mich um. Links erstreckt sich eine sandige Wüste mit einzelnen Würfelkakteen, dahinter erhebt sich ein Gebirge mit absurd steilen Felshängen. Rechts setzt sich der Wald fort, bevor in der Ferne die Bäume ausdünnen und das Gelände in etwas übergeht, das wie eine Grasebene aussieht. Dort laufen eine Menge Kastenwesen herum: Schwarzweiß gefleckte, die ich unzweifelhaft als Kühe einordnen kann, und rosafarbene Schweine.
Ich beschließe, die Wüste in Richtung des Gebirges zu durchqueren. Von einem der Gipfel habe ich bestimmt eine noch bessere Aussicht.
Ich bin nicht sicher, wonach ich eigentlich suche. Einem Ausgang vielleicht? Aber woraus? Und wohin sollte er führen?
Wieder diese sinnlosen Gedanken, die sich so schnell im Kreis drehen, dass mir übel wird. Ich verdränge sie und setze einfach einen Fuß vor den anderen - bildlich gesprochen, denn Füße habe ich ja nicht.
Am Rand der Wüste begegnet mir ein weiteres Wesen. Es ist wesentlich kleiner als das Schaf. Sein würfelförmiger weißer Körper steht auf zwei dürren Beinchen. Der Kopf hat vorn eine Art rechteckigen Entenschnabel, aus dem eine rote Zunge herauszuhängen scheint. Das Geräusch, das es von sich gibt, ähnelt allerdings eher dem Gackern eines Huhns.
Als ich mich ihm nähere, hüpft das Wesen davon. Doch es lässt etwas zurück: ein Ei.
Es ist das erste nicht rechteckige Objekt, das ich in dieser Welt entdecke. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Doch als sei seine Rundheit nicht mit den Grundprinzipien dieser Welt vereinbar, liegt das Ei nicht etwa auf dem Sandboden, sondern schwebt dicht darüber.
Ich mache einen Schritt darauf zu, um das Phänomen genauer zu betrachten, da geschieht etwas Merkwürdiges: Es macht „Plopp“, und das Ei verschwindet wie eine geplatzte Seifenblase. Ich sehe mich verwirrt um. Ein paar Blöcke entfernt steht das Huhn und sieht mich an, als mache es mir Vorwürfe, weil ich nicht
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