Würfelwelt (German Edition)
aber sprechen kann ich trotzdem. Probehalber sage ich es noch einmal: „Amelie!“
Ich spüre einen Schmerz, dumpf und drängend, ganz anders als die Elektroschocks der Nachtmonster. Es tut mir weh, dass sie so traurig ist. Dabei weiß ich nicht einmal, wer sie ist, diese Amelie. So sehr ich auch versuche, mich daran zu erinnern, in meinem Geist wabert bloß Nebel.
Langsam zieht der Mond über den Himmel. Die Monster tief unten haben offensichtlich nichts Besseres zu tun, als weiterhin die Säule zu belagern. Ich frage mich, wie ich jemals heile hier herunterkommen soll.
Das Problem erledigt sich teilweise von selbst, als endlich die Sonne aufgeht: Die grünen Typen und die Skelette gehen plötzlich in Flammen auf. Sie stoßen verzweifelte Unnghs und Klicklaute aus, so dass sie mir beinahe leidtun. Kurz darauf sind sie verschwunden. Nur zwei Gurkenwesen stehen noch neben der Säule und blicken erwartungsvoll zu mir hoch. Im Unterschied zu den Skeletten und den grünen Männern machen sie keine Geräusche. Sie wirken eigentlich recht harmlos, aber ich traue ihnen nicht.
Andererseits kann ich nicht ewig auf dieser Säule bleiben. Ich nehme den Sandwürfel direkt unter mir in meinen Geist auf, indem ich darauf einprügele. Auf diese Weise verkürze ich die Sandsäule unter mir Block für Block, bis ich dicht über den Köpfen der beiden Gurkenwesen stehe. Sie blicken mich immer noch stumm an, mit reglosen Gesichtern, die irgendwie missmutig aussehen. Um sie herum liegen – nein, schweben - einige Pfeile und faulige Fleischfetzen, offenbar die Überreste der anderen Monster.
Was jetzt?
Ich nehme all meinen Mut zusammen und springe von der Säule. Ein leises Zischen ertönt. Das macht mir Angst. Ich hopse los, so schnell mich meine steifen Beine tragen. Das Zischen wird lauter, dann gibt es einen gewaltigen Knall. Ein Schock trifft mich, und ich fühle mich wieder sehr schwach. Ich bleibe stehen und sehe mich um.
An der Stelle, wo die Gurkenwesen waren, ist jetzt ein rechteckiges Loch im Boden. Kleine Sandwürfel schweben überall herum. Im Nachhinein wird mir klar, dass das leise Zischen ein wenig wie die Lunte einer Dynamitstange klang, so wie es in Zeichentrickfilmen dargestellt wird.
Vorsichtig nähere ich mich dem Loch. Eine Gefahr scheint davon nicht mehr auszugehen. Als ich auf einen der schwebenden Sandwürfel zugehe, verschwindet er ganz von selbst mit einem Plopp und manifestiert sich als Gedanke in mir.
Ich klettere in das Loch und sammele 12 Sandwürfel, zwei Pfeile und drei Fetzen fauligen Fleischs ein. Letztere lösen in mir ein solches Ekelgefühl aus, dass ich sie sofort aus meinem Geist verbanne.
Ich werfe einen Blick zum Himmel. Die Sonne ist schon ein ganzes Stück in Richtung Zenit geklettert. Besser, ich trödele hier nicht länger herum.
Mir fällt das Leuchten ein, das ich in der Nacht von der Spitze meiner Sandsäule aus gesehen habe. Vielleicht ist es eine gute Idee, herauszufinden, was es damit auf sich hat. Aber dazu muss ich erst mal das Gebirge vor mir überwinden.
Die Kletterpartie ist leichter, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich kann immer nur einen Würfel hoch hüpfen, aber der Sprung selbst ist nicht anstrengend. Meistens finde ich einen schrägen Treppenhang, an dem ich mühelos emporsteigen kann. Wenn nicht, mache ich mir eine Treppe, indem ich auf die Erde vor mir einprügele. Einmal versuche ich es mit einem Steinblock, der mir im Weg ist, und auch das funktioniert, allerdings dauert es ziemlich lange, bis er endlich verschwindet. Seltsamerweise materialisiert sich der Steinblock dabei nicht in meinem Geist – er löst sich einfach in Nichts auf.
Als ich den Gipfel des Gebirges erreiche, steht die Sonne schon wieder ziemlich niedrig. Doch mein Herz schlägt höher: Hinter grasigen Hügeln erkenne ich etwas, das eindeutig von Menschhand, beziehungsweise von Kastenmann-Arm, geschaffen worden sein muss. Es handelt sich um eine kleine Hütte aus Holzblöcken mit einem gestuften Holzdach. Sie hat sogar eine richtige Tür mit einem Fenster daneben.
Aufgeregt hüpfe ich den Gebirgshang hinab. Als ich die Ebene erreiche, fällt mein Blick auf ein rosa Schwein, das fröhlich grunzend in der Nähe herumhopst. Genau in diesem Moment knurrt mein Magen. Nein, er knurrt nicht wirklich, und ob ich überhaupt einen Magen habe, weiß ich nicht so genau – mit Metaphern muss man in dieser Welt vorsichtig sein. Jedenfalls wird mir mit einer gewissen Dringlichkeit bewusst, dass ich
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