Würstelmassaker
Kinderzimmer zu übernachten, gerne angenommen.
Franca hatte sich bereits zurückgezogen und Wilma war eben aus dem Bad gekommen, als das Telefon klingelte. Unwillkürlich erschrak sie. Von Kindheit an hatte man ihr eingetrichtert, dass gut erzogene Menschen zwischen 20 Uhr abends und 8 Uhr morgens nur in Notfällen anrufen. Obwohl das nicht erst seit der Erfindung des Handys nicht mehr galt, erwartete Wilma von späten Anrufen instinktiv immer nur das Schlimmste. Damit lag sie diesmal gar nicht so sehr daneben. Denn die Freude, die leicht gestresste Stimme ihres »Herzibinbkis« Harry zu hören war nur kurz. Sehr kurz sogar, denn der Junior hielt sich keine Sekunde lang mit dem üblichen Mutter-Sohn-Gewäsch auf. Nein, er kam sofort zur Sache.
»Hast du schon gehört, dass der Papa entführt worden ist ?« , klatschte er seiner geliebten Mami die Spitzenmeldung des jungen Tages um die Ohren wie einen nassen Fetzen. Diesen gelegentlich erschreckenden Mangel an Sensibilität musste Harry von Palinski haben, denn Wilma hatte ihn noch.
Die Frau, die es seit mehr als 24 Jahren ohne Trauschein an Palinskis Seite ausgehalten hatte, reagierte jetzt aber nicht wie eine alte Ehefrau, sondern mehr wie eine jung gebliebene Verliebte. Sie brach in Tränen aus und es dauerte einige Zeit, bis ihr Harry Details berichten und sie auf die laufende Berichterstattung aufmerksam machen konnte. Die Verabschiedung fiel heute mehr als knapp aus und dann war die Verbindung London – Wien auch schon wieder beendet.
Wilma stürzte sofort zum Radio in der Küche und suchte die Skala ab, bis sie den entsprechenden Sender fand. Das Erste, was Franca hörte, als sie, angelockt von dem Lärm, erschien, war die Stimme ihres Mannes, der sich auf dem Flug nach Korneuburg befand. Er erklärte dem Reporter eben, warum es zur Verlegung der Polizeikräfte in die kleine Stadt nördlich der Donau gekommen war.
Während der Reporter mit sich fast überschlagender Stimme sehr bildhaft die Ereignisse des Abends schilderte, konnte man im Hintergrund ein Gespräch des Oberinspektors mit einem hohen Beamten des Niederösterreichischen Landeskriminalamtes mithören, in dem es um die Abstimmung des »grenzüberschreitenden« Einsatzes ging. Der Kollege aus St. Pölten war ebenfalls schon unterwegs nach Korneuburg.
Wilma war wie vor den Kopf geschlagen. Ihr war schon bewusst gewesen, dass Marios kriminalistische Aktivitäten nicht ganz ungefährlich waren. Immerhin war ja auch schon auf ihn geschossen worden. Einmal tatsächlich und einmal mit ungeladener Waffe, was die Schützin aber nicht gewusst hatte. Entführung klang zwar harmloser als beschossen werden, aber in Anbetracht der Person des Entführers und seiner Methoden machte sie sich Sorgen wie noch nie zuvor.
Franca hatte ihren Arm um Wilma gelegt, um sie zu trösten. Oder zu beruhigen, wahrscheinlich beides. Aber Wilmas Angst wandelte sich rasch in Zorn und aggressive Entschlossenheit.
»Komm«, sagte sie plötzlich zu Franca. »Ich will da hin, kommst du mit ?«
»Wohin willst du ?« , die junge Kriminalbeamtin ahnte bereits die Antwort, wollte sich aber vergewissern.
»Na wohin schon ?« , knurrte Palinskis Partnerin, »natürlich nach Korneuburg. Ich will dabei sein, wenn dieser Mistkerl gefasst wird. Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, ihn einmal so richtig in die Eier zu treten .«
Zehn Minuten später waren die beiden Frauen, die am Abend gottseidank so gut wie gar keinen Alkohol, sondern fast ausschließlich grünen Tee getrunken hatten, bereits unterwegs.
*
Obwohl Anna Nowotny ihr Bestes gegeben hatte, hatte es einige Zeit gedauert, bis die gewünschte Information endlich zur Verfügung stand. Ihre Freundin Iris hatte natürlich auch schon geschlafen. Dann hatte Anna sie dazu bewegen müssen, in die Bank zu fahren und die Unterlagen der seinerzeitigen Ausstellung einzusehen. Iris war zunächst natürlich nicht sonderlich begeistert von dem Ansinnen gewesen. Nachdem sie aber kapiert hatte, worum es ging, war sie sehr rasch unterwegs gewesen.
Dann galt es noch, den entsprechenden Vorgang zu finden und das nicht nur im Computer. Schließlich hatte sie die gewünschte Adresse aber gefunden und an Anna Nowotny weiter geleitet. Die sich ihrerseits sofort mit ihrem Sohn Florian in Verbindung setzte.
Das Atelier »Quartier de Vin« befand sich in Grimmstein 8, einem winzigen Weiler in der Nähe von Klein-Engersdorf. Eine Minute später wusste Oberinspektor Wallner Bescheid
Weitere Kostenlose Bücher