Wüstenfeuer
Kunstvolle Steinreliefs, hoch aufragende Minarette und Türme mit zwiebelförmigen Dächern buhlten um die Aufmerksamkeit der Besucher und gaben Zeugnis von tausend Jahren höchster Baukunst. Umgeben von festungsartigen Steinmauern, war der Mittelpunkt der Anlage ein großzügiger rechteckiger Innenhof, der auf allen Seiten von ansteigenden Arkaden eingerahmt wurde.
Im Schatten eines Säulenbogens stand ein schmächtiger Mann in ausgebeulter Hose und weit geschnittenem Hemd, polierte die Gläser einer Sonnenbrille und inspizierte dann den Innenhof. Wegen der Tageshitze waren nur wenige junge Leute zugegen und studierten die Architektur oder spazierten stumm meditierend umher.
Vorwiegend waren es Studenten der angeschlossenen Al-Azhar-Universität, einer herausragenden Institution für islamisches Wissen im Nahen Osten. Der Mann strich sich durch einen dichten Bart, der sein jugendliches Gesicht verhüllte, dann schwang er sich einen abgetragenen Rucksack auf die Schulter. Mit einer weißen Kufiya um den Kopf unterschied er sich kaum von den Theologiestudenten in der Moschee.
Er trat ins Sonnenlicht und ging über den Hof zum östlichen Säulengang. Die Fassade über den kielförmigen Rundbögen bestand aus einer Reihe verschnörkelter Girlanden und anderer Verzierungen im Stuck, die, wie er bemerkte, von einigen der zahlreichen Tauben, die diesen heiligen Ort bevölkerten, als Schlafplätze genutzt wurden. Er steuerte auf einen leicht vorgeschobenen Rundbogen in der Mitte des Säulengangs zu, über dem sich eine größere rechteckige Fläche mit arabischen Schriftzeichen befand, die den Eingang zur Gebetshalle markierte.
Der Ruf zum mittäglichen
salat
, dem fünfmal am Tag vorgeschriebenen Gebet, war vor fast einer Stunde erfolgt, daher war die weitläufige Gebetshalle im Augenblick nahezu menschenleer. Draußen in der Vorhalle saß eine kleine Gruppe Studenten mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden und lauschte einem Universitätsdozenten, der gerade einen Vortrag über den Koran hielt. Der schmächtige Mann umrundete die Gruppe und näherte sich dem Eingang zur Halle. Dort erwartete ihn ein bärtiger Mann in weißem Gewand, der ihn prüfend musterte. Der Besucher zog die Schuhe aus, erbat leise murmelnd den Segen Mohammeds für sich und ging nach einem Kopfnicken des Türstehers weiter.
Die Gebetshalle bestand aus einer weiten, mit rotem Teppich bedeckten Fläche, die von Dutzenden von Alabastersäulen unterbrochen wurde, die eine Balkendecke stützten. Kuppelförmige Muster im Teppich, die jeweils einen individuellen Gebetsplatz markierten, deuteten zur Vorderseite der Halle. Als er feststellte, dass der bärtige Türsteher nicht mehr auf ihn achtete, entfernte sich der Mann schnell und verschwand zwischen den Säulen.
Während er sich mehreren Männern näherte, die ins Gebet versunken auf dem Teppich knieten, entdeckte er die Mihrab am Ende der Halle. Es war die in jeder Moschee vorhandene Wandnische, die die Gebetsrichtung nach Mekka anzeigte. Die Mihrab der Al-Azhar-Moschee bestand aus poliertem Marmor und war von einem beinahe modern anmutenden, in sich verschlungenen Mosaik umgeben, das schwarz und elfenbeinfarben gearbeitet war.
Der Mann ging zu einer Säule in nächster Nähe der Mihrab, nahm den Rucksack ab und streckte sich auf dem Teppich aus, um zu beten. Nach mehreren Minuten schob er den Rucksack zur Seite, bis er gegen die Basis der Säule stieß. Als er zwei Studenten beobachtete, die in Richtung Ausgang gingen, erhob er sich und folgte ihnen in die Vorhalle, wo er seine Schuhe anzog. Während er anschließend an dem bärtigen älteren Aufpasser vorbeiging, murmelte er ein andächtiges
»Allahu Akbar«
und verschwand dann schnell weiter in den Innenhof.
Er tat so, als würde er für einen Augenblick eine Rosette in der Fassade bewundern, dann lenkte er seine Schritte schnell zum Bab el-Muzaiyni, dem Tor des Friseurs, durch das er das Moscheegelände wieder verließ.
Ein paar Straßen weiter stieg er in einen kleinen Mietwagen, der am Bordstein parkte, und fuhr in Richtung Nil. In einem schmuddeligen Industriebezirk bog er auf das Grundstück einer stillgelegten und allmählich verfallenden Ziegelei ab und lenkte den Wagen hinter die verlassene Laderampe. Dort zog er die ausgebeulte Hose und das weite Oberhemd aus, und zum Vorschein kamen eine Jeans und eine Seidenbluse. Die Sonnenbrille wurde abgenommen, desgleichen eine Perücke und der falsche Bart. Den muslimischen Studenten
Weitere Kostenlose Bücher