Wuestentochter
noch lieber als das, was Numair und Abd al-Hadi mit mir vorhaben«, seufzte Khalidah.
»Woher willst du denn wissen, dass sie etwas mit dir vorhaben?« Bilal zeichnete mit einem Finger Kreise in den Staub.
»Stell dich doch nicht dümmer, als du bist, Bilal«, erwiderte sie, denn er hatte an diesem Morgen gemeinsam mit ihr beobachtet, wie der Zwillingsbruder ihres Vaters, mit dem er seit dem Tod ihres Großvaters um die Herrschaft über den Stamm rang, mit einem Gefolge bewaffneter Reiter und einer prachtvollen Stute eingetroffen war. Bei dieser Stute handelte es sich um das schönste Pferd, das Khalidah je gesehen hatte: einen Goldfuchs mit stolz erhobenem edlem Kopf und seidiger Mähne. Doch obgleich sie Pferde mehr liebte als irgendetwas sonst auf der Welt, hatte der Anblick des Tieres sie in tiefste Verzweiflung gestürzt. Die Beduinen betrachteten Pferde als Familienmitglieder, und eine gute, kampferprobte Stute war wertvoller als das Leben eines Mannes. Ein Pferd wie dieses war unbezahlbar. Es konnte nicht verkauft oder eingetauscht, sondern nur als Ehrengeschenk in andere Hände gegeben werden: als Brautpreis für die einzige Tochter eines Scheichs.
Bilal maß sie mit einem langen, harten Blick. »Die meisten Mädchen würden es als großes Glück betrachten, einen Mann wie Numair heiraten zu dürfen.«
Die Worte trafen Khalidah wie glühende Pfeile. »Du findest, ich sollte auch noch dankbar dafür sein, für ein Schlachtross verschachert zu werden?«, fragte sie kalt.
»Das hast du gesagt, nicht ich.«
»Dann sag doch endlich, was du meinst!«
»Gut«, versetzte der Junge trotzig. »Heirate nicht deinen Vetter, sondern mich.«
Diesen Vorschlag unterbreitete er ihr nicht zum ersten Mal, aber es war das erste Mal, dass Khalidah der Verdacht beschlich, er könne es ernst meinen. Sie musterte ihn forschender, als sie es seit langer Zeit getan hatte. Bilal war wie sie fast sechzehn Jahre alt; noch immer mehr Kind als Mann. Er trug ein schmuddeliges Gewand, das zu viel von seinen Knöcheln und Handgelenken frei gab. Aber er war gut gebaut, hatte ein offenes, anziehendes Gesicht, pergamentfarbene Haut und von schwarzen Wimpern gesäumte strahlend blaue Augen, die man bei keinem anderen Mann der Stämme fand und die er aus eben diesem Grund hasste. Er würde genau die Art von Ehemann abgeben, von dem die meisten Mädchen träumten. Doch selbst wenn er nicht der vaterlose Sohn der Dienerin ihres Vaters und somit kein standesgemäßer Bewerber um ihre Hand gewesen wäre, hätte Khalidah seinen Antrag nicht ernst genommen.
»Das wäre ein Fehler, Bilal«, gab sie zurück. »Was du genauso gut weißt wie ich.«
»Ich weiß, dass du dir das einredest. Du bist meine beste Freundin, Khalidah …«
»Und du bist mein bester Freund«, unterbrach sie ihn. »Genau da liegt ja das Problem. Wir zanken uns wie alte Weiber, und wir kennen uns zu gut. Ich denke, wenn eine Ehe harmonisch werden soll, ist es besser, nicht zu viel übereinander zu wissen.« Als Bilal die Stirn runzelte, fragte sich Khalidah, ob sie eigentlich selbst glaubte, was sie da sagte. »Ich meine«, fuhr sie etwas lauter fort, um ihre Zweifel zu übertönen, »wie kann ich mich dir denn wie eine gehorsame Ehefrau unterwerfen? Du bist doch der kleine Junge, der früher immer ins Bett gepinkelt hat.«
»Khalidah!« Bilal zuckte merklich zusammen.
»Dasselbe könntest du von mir sagen. Und außerdem … glaubst du wirklich, du brächtest es fertig, mich zu schlagen?«
»Du möchtest einen Mann, der dich schlägt?«, vergewisserte er sich ungläubig.
»Natürlich nicht.« Khalidah behagte die Wende nicht, die das Gespräch genommen hatte. Sie dachte einen Moment nach und beschloss dann, das Thema zu wechseln. »Zeyneb ist wirklich zu nachsichtig mit mir. Sie droht mir immer Prügel an, aber dabei bleibt es dann auch.«
»Ich wünschte, ich könnte das auch von mir behaupten.«
Khalidah betrachtete Bilal mit einer Mischung aus Mitleid und Neid. »Sie ist deine Mutter und meine Amme, darum schlägt sie dich und droht mir nur.«
»Ich würde gern mit dir tauschen.«
Da Khalidah eine patzige Antwort auf der Zunge lag, wandte sie sich ab und blickte zu den im Winterwind flatternden schwarzen Zelten hinüber. Hinter den Zelten grasten die Pferde, Kamele und Ziegen das Buschwerk ab, dahinter erstreckte sich die Wüste gleißend weiß bis zu den Bergen am Horizont. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass irgendwo zwischen der Wüste und dieser
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