Wuestentochter
um weiter für den Sultan zu kämpfen. Niemand wagte Mutmaßungen darüber anzustellen, ob einige von ihnen zurückkehren würden.
Die ersten Heimkehrer trafen Anfang Juni ein. Es waren nicht viele, aber den ganzen Sommer lang kamen sie in einem stetigen dünnen Strom. Sie waren von den harten Kämpfen der letzten Jahre gezeichnet - erst der Rückeroberung der von den Franken besetzten Gebiete, und dann hatten sie sie gegen die neue Welle von Christen verteidigen müssen, die aus Europa gekommen waren, um Jerusalem wieder einzunehmen. Alle sprachen nur in den höchsten Tönen von dem Sultan, wussten aber über seine Söhne nichts Gutes zu sagen. Sie und der Umstand, dass in dem einst so mächtigen Sultanat das Chaos ausgebrochen war, weil sie erbittert um die Vorherrschaft kämpften, hatte die im Westen verbliebenen Dschinn zur Heimkehr bewogen.
Khalidah trat jedem Neuankömmling mit gemischten Gefühlen entgegen. Sie wusste, dass sie auf nichts hoffen durfte, dennoch keimte angesichts der Freude der wiedervereinten Familien immer wieder ein neuer Funke der Hoffnung in ihr auf. Also unterdrückte sie die Fragen, die ihr auf der Zunge lagen, weil sie sich vor den Antworten fürchtete. Wenn der Schmerz unerträglich zu werden drohte, griff sie nach der Fluchtmöglichkeit ihrer Kindheit, dem Reiten. Sie galoppierte auf Shahins Rücken durch das Tal und in die Hügel hinauf, bis sie für eine Weile alles andere um sie herum vergaß.
Auch an einem Augustabend, als die Schatten bereits länger zu werden begannen, ritt sie müßig durch die Gegend, als sie plötzlich eine einsame Gestalt sah, die sich zum Tal schleppte. Der Mann war zu Fuß unterwegs und stützte sich schwer auf einen Stock, und zuerst hielt sie ihn für einen Bittsteller auf der Suche nach militärischer Hilfe, obwohl kein Bittsteller bislang alleine zu ihnen gekommen war. Sie trieb Shahin zu einem Galopp an und jagte auf den Fremden zu. Als sie näher kam, blieb er stehen, und als sie ihn erkannte, erstarrte sie ebenfalls.
Langsam glitt sie aus dem Sattel und klammerte sich an Shahins Mähne fest. Sie brachte keinen Ton heraus; sie konnte ihn nur stumm anstarren und sich benommen fragen, ob der Kummer sie jetzt endlich um den Verstand gebracht hatte. Denn vor ihr stand Sulayman: älter, magerer, mit den Narben zahlreicher Kämpfe übersät und einem Ausdruck in den Augen, der stark an Verzweiflung grenzte. Doch sie las auch eine zaghafte Hoffnung darin, und nach einem Moment schenkte er ihr ein zittriges Lächeln.
»Bist du das, Khalidah?«, krächzte er.
»Ja«, erwiderte sie schlicht.
Er musterte sie lange; nahm ihre Erscheinung in sich auf: das schlichte weiße Gewand, das fein gewobene gestreifte Kopftuch, das Zeichen ihres Ranges, die kajalumrandeten Augen und die schwarzblauen harquus, die ihr Gesicht zierten. »Du bist jetzt die Khanum«, stellte er fast staunend fest.
Sie nickte stumm.
»Dann bist du es, an die ich mich wenden muss, um um Asyl zu bitten?«
Wieder nickte sie, woraufhin Sulayman langsam, mit schmerzlich verzogenem Gesicht vor ihr auf die Knie sank. »Khalidah Khanum, Worte vermögen nicht auszudrücken, wie sehr ich bedauere, dich und die Dschinn verlassen zu haben. Ich habe kein Recht, diese Bitte zu äußern, aber wenn du mir die Gnade gewährst, mich in Qaf bleiben zu lassen …«
Er brach ab und sah sie flehend an. In seinem Gesicht las sie, was er seit ihrer Trennung durchlitten hatte - und die noch größere Qual, eine einmal getroffene Entscheidung jahrelang bereut zu haben.
»Steh auf, Sulayman«, sagte sie mit fester Stimme.
Er erhob sich unsicher. Sie sah ihn lange an, dann schloss sie ihn in die Arme.
»Willkommen daheim«, flüsterte sie.
Danksagung
Viele Menschen haben auf verschiedene Weise zur Entstehung dieses Romans beigetragen. Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle Elaine Thompson und Jeanie Goddard für ihre Begeisterung und ihre sorgfältige Überprüfung des Manuskripts in verschiedenen Phasen seiner Fertigstellung; Professor Peter Jackson von der Keele University, der alle meine Fragen bezüglich der Kreuzzüge geduldig beantwortet hat; Fiona Walling von Cumbria Arabians, die mir viel über ihre Pferde (und die beduinische Art ihres Zaumzeugs) beigebracht hat; Dr. Maktoba Omar, Latifa Mohamed und Asim Shezad, die mir bei Problemen mit der arabischen Sprache geholfen und mir die muslimische Kultur nähergebracht haben; Lubna Asim, die mir bei Paschtu geholfen hat und Abdullah
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