Wüthrich, G: Dölf Ogi: So wa(h)r es!
verbindendes Element.
Kofi Annan greift während des Gesprächs in seine schwarze Aktentasche und kramt einen Gegenstand heraus: «Das ist er, das ist der Kristall! Ich habe ihn immer noch und werde ihn mein Leben lang behalten. Man weiss nie, vielleicht bringt er mir Glück.» Ein Ogi-Kristall, nicht ganz vorschriftsmässig aufbewahrt, denn ein Ogi-Kristall gehört an sich in die linke Hosentasche – auf die Seite des Herzens.
Der Kristall von Adolf Ogi. Eine lange Geschichte. Sie beginnt am 8. September 1997. UNO-Generalsekretär Kofi Annan besucht in der Schweiz das AC-Labor Spiez. Zusammen mit Verteidigungsminister Adolf Ogi unternimmt der hohe Gast einen Rundgang durch das Labor. Am Schluss gibt es Käse, Brot und Mineralwasser. Adolf Ogi flüstert seinen Mitarbeitern zu: «Gebt mir bitte noch das Geschenk für Kofi Annan.»
Betretenes Schweigen. Es ist kein Geschenk da. «Was mache ich jetzt?», fragt sich Ogi. Aus der Not heraus kommt ihm ein wunderbarer Gedanke: «Ich gebe ihm meinen Kristall.»
Katrin (l.) und Dölf begleiten Preisträger Kofi Annan und dessen Frau Nane zur Verleihung des Gottlieb Duttweiler-Preises in Rüschlikon. 2008
«Gebt mir bitte noch das Geschenk für Kofi Annan.» Betretenes Schweigen. Es ist kein Geschenk da.
Kurz entschlossen holt Ogi seinen Kristall aus der linken Hosentasche und überreicht ihn dem hohen Gast mit den Worten: «Kristalle haben für mich eine ganz besondere Bedeutung. Sie sind ein Symbol der Berge, sie sind drei, vier Millionen Jahre alt und wachsen nur im Untergrund. Jetzt gehört mein Kristall Ihnen, Herr Generalsekretär.» Ogi schaut dem hohen Gast in die Augen. Sie glänzen. Kofi Annan ist gerührt. Im Verlauf des Tages taucht das ursprünglich geplante Geschenk doch noch auf und wird Kofi Annan ordnungsgemäss übergeben.
Drei Jahre später. Samstag, 24. Juni 2000 auf dem Kinderfestival in Basel. Ogi und Kofi Annan sehen sich wieder. Der Bundesrat hat Bundespräsident Adolf Ogi gebeten, die schweizerische Landesregierung bei der Eröffnung zu vertreten. Der UNOGeneralsekretär ist angesagt. Im Basler Grossratssaal in der Empfangsreihe steht der Bundespräsident nun zur offiziellen Begrüssung an vorderster Stelle.
Ogis persönlicher Kristall, den nur wirklich gute Freunde erhalten.
Bevor Kofi Annan Adolf Ogi die Hand reicht, fasst er in die linke Hosentasche, holt einen Kristall hervor und sagt: «Dolfi, du erinnerst dich, was du mir vor ein paar Jahren geschenkt hast?» Hätte ihm Ogi damals Schweizer Schokolade geschenkt, wäre sie längst aufgegessen. Bei einer Swatch wären die Batterien längst abgelaufen. Ein Kristall bleibt.
Und dann die Überraschung: Kofi Annan möchte gerne mit Dolfi wandern, hiken, in Kandersteg, wo Ogi geboren ist. Ogi sagt spontan: «Du bist immer willkommen!»
Am Sonntag, den 13. August 2000 ist es dann so weit. Kofi Annan kommt mit seiner schwedischen Frau Nane Lagergren nach Kandersteg. Morgens ist Adolf Ogi noch mit seiner Tochter Caroline in der Radiosendung «Persönlich» aufgetreten und hat, mediengewandt, wie er ist, erst mal Spannung aufgebaut: Heute Nachmittag komme ein hoher Gast zu ihm nach Kandersteg … Mehr verrät er nicht. Schon am ersten Tag wandert man gemeinsam ins Gasterntal. Die Bilder gehen durch die Schweiz.
Man habe über alles gesprochen, nur nicht über ein Engagement Ogis in der UNO. Der damalige Gastgeber räumt ein: «Es könnte sein, dass mich Kofi näher unter die Lupe nehmen wollte …» Eines liegt allerdings für Adolf Ogi auf der Hand: «Dass das Schweizer Volk am 3. März 2002 mit fast 55 Prozent Ja-Stimmen den UNO-Beitritt befürwortet, hat mit diesem Besuch zu tun. Kofi Annan hat in der Woche in Kandersteg der UNO ein sympathisches Gesicht gegeben.» Nach Ogis Rücktrittserklärung aus dem Bundesrat am 18. Oktober 2000 lädt Kofi Annan seinen Schweizer Freund für Ende des Jahres zu einem Nachtessen nach Genf ein. «Was machst du jetzt?», fragt ihn der UNO-Generalsekretär. Ogi antwortet: «Ich weiss es beim besten Willen nicht.» Er sei wirklich müde. Bis Januar, Februar mache er erst einmal gar nichts: «Zuerst die Batterien aufladen, dann sehen wir weiter.»
Kofi Annan insistiert nicht. Er bittet Dolfi lediglich: « Leave a window of opportunity a crack open for me. – Lass ein Zeitfenster einen Spalt offen für mich.»
Adolf Ogi lässt das Zeitfenster offen – bis zum Abend des 22. Februar 2001, bis zum Anruf auf das Autotelefon während der Heimfahrt vom Engadin
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