Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
die sturmerfahrenen Flamen und Friesen herbeirief, um uns zu
bändigen, da gab es ringsrum Höfe, die waren mächtig und reich. Ich habe alle
diese Siedlungen entstehen und verschwinden sehen.«
Die Kleine konnte mit einem Gedanken
nicht recht fertig werden. »Am Johannisfeuer aber hast du ganz anders
gesprochen«, sagte sie leise. »Da hast du gesagt, daß ihr nach den Menschen
ruft, damit sie euch aus dem Zauberbann heraushelfen. Und nun sprichst du nur
davon, wie ihr alle Wohnungen der Menschen zerstört habt!«
»Nun, ich meinte, du solltest das Land
kennen, in dem du lebst. Denn nicht nur wir Geister haben um diese Erde
gekämpft, Menschenkind.
Schau hinüber über den Strom! Dort im
Westen, am anderen Ufer, lag vor tausend Jahren das Reich. Von hier nach
drüben und von drüben zu uns ging es hin und her, die Wenden kämpften gegen die
Niedersachsen im Reich, und die Niedersachsen gegen die Wenden, mit Krieg und
Brand und Verschleppung von Frauen und Kindern von hüben und drüben! Wir haben
alles gesehen, und es war nicht alles gut, was wir gesehen haben.«
»Wie alt bist du denn eigentlich?«
fragte die Kleine mißtrauisch. Sie fand es nicht sehr angenehm zu hören, wie
der Rote Junge über die Menschen sprach! Die Vorfahren ihres Vaters waren ja
selbst aus dem Westen in die Mark gekommen, aus Franken, und die Mutter ihrer
Mutter war Wendin; die liebe Großmutter lebte im Spreewald, wo man noch heute
die alte wendische Sprache spricht. Aber sie alle — Wenden und Sachsen und
Franken — waren doch schon lange zu Märkern geworden und lebten in Frieden
zusammen!
»Du brauchst mich gar nicht so böse
anzuschauen, kleine Dott«, sagte der Nix. »Auch wir haben schon lange Frieden
mit euch geschlossen. Seit der Admiral Gysel van der Lyer mit Sachsen und
Flamen und Friesen hier seine Deiche aufgebaut hat, ist es dem Strom nie mehr
gelungen, das ganze Land zu überschwemmen. Heute dient der Strom den Menschen.«
»Du hast den Admiral gesehen?« fragte
Dott eifrig. »Bitte sag mir doch, wie hat er denn ausgesehen? — Als er noch in
seiner Gruft an der Kirche in Mödlich in dem gläsernen Sarg gelegen hat, da
konnten die Leute ihn sehen, denn er war gar nicht verwest. Aber nun liegt er
in der Erde, und ich hätte ihn doch so gern einmal ganz von nahem angeschaut!«
Der Rote Junge blickte schweigend auf
den Strom. »Du willst gern den holländischen Admiral sehen?« fragte er dann.
»Den Wunsch kann ich dir erfüllen.«
Sie fühlte, wie seine kleine Hand rasch
über ihre Augen strich, und im selben Augenblick war die Sommerlandschaft
verschwunden. Der Tag wurde zur Nacht, und eine stürmische Herbstnacht war es,
die sich um sie her zusammenzog!
Ein eisiger Wind strich von der Elbe
herüber. Von dorther kam auch ein Brausen und Dröhnen, als wollte der Strom das
Ufer auseinanderreißen.
»Komm jetzt zur Kirche«, sagte der
Kobold. Er ergriff ihre Hand und führte die Kleine in den Kirchhof hinunter.
Und als sie dicht vor der Kirche standen, flammte plötzlich im Innern Licht
auf.
Sobald aber der Kerzenschein aus der
Kirche auf die Gräber fiel, fegte der Sturm die welken Blätter von den Hügeln.
Die Erde schob sich zur Seite, die Särge öffneten sich, und die toten Bauern
von Mödlich kamen aus der Tiefe heraufgestiegen, in Festgewänder gekleidet, die
Frauen mit dem Gesangbuch und dem Blumensträußchen in der Hand. So wanderten
sie in langem Zuge an der Kleinen vorbei und durch die geöffnete Tür in die
Kirche hinein.
Die Kleine faßte die Hand des
Feuermännchens fester, und plötzlich sah sie, daß hart an der Kirche, dem Deich
zugekehrt, ein Grabgewölbe lag.
»Das muß die Gruft des Admirals sein!«
schoß es ihr durch den Sinn. Und im gleichen Augenblick sprang die Tür zum
Grabgewölbe weit auf, und eisengepanzert kam der Admiral aus der Gruft
geschritten, seine Tochter am Arm führend. Hager und übergroß war seine
mächtige Gestalt, und langsam und feierlich schritt er in die Kirche hinein.
Der Rote Junge zog die Kleine hinter sich her bis zur Kirchentür; da sah sie,
daß alle Kerzen an dem runden Kronleuchter und auf dem Altar angezündet waren.
Der Admiral schritt durch das Kirchenschiff. Langsam ging er bis zur ersten
Bank vor dem hölzernen Taufbecken, und sobald er sich mit seiner Tochter
niedergesetzt hatte, erbrauste im Hintergrund die Orgel, und alle Bauern in der
Kirche begannen zu singen:
»Der Herr ist mein Hirte, mir wird
nichts mangeln«
Bevor jedoch der erste Vers
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