Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Krieg«,
erwiderte Matz Votze, »keiner glaubt mehr an sein Ende, da verprassen die Leute
ihr Hab und Gut, bevor man es ihnen wegnehmen kann. Aber schau dorthin, dann
wirst du sie vielleicht verstehen!« fuhr das Männchen fort und wies nach der
anderen Seite.
Da sah die Kleine vier Männer, die mit
einem verdeckten Karren die Querstraße heruntergerannt kamen, gerade auf sie zu.
Wo ein weißes Laken aus dem Fenster heraushing, da hielten sie an und rissen
die Türen auf. Und nach kurzer Zeit trugen sie einen Menschen heraus, den sie
wie einen Warenballen auf den Karren warfen. Dann ratterten sie weiter.
»Wen werfen die Leute denn auf den
Karren?« fragte die Kleine und blieb stehen. Sie war so zornig, daß sie mit dem
Fuße stampfte, weil man hier so mit den Menschen umzugehen wagte.
»Das sind Menschen, die an der Pest
gestorben sind«, erwiderte das Männchen. »Aber komm schnell weiter, und atme
nicht durch den Mund!«
Er hätte es nicht nötig gehabt, die
Kleine anzutreiben. So schnell war sie in ihrem ganzen Leben noch nicht
gelaufen! Ihr war, als raste die Pest hinter ihr her. Dott roch den ekelhaften,
süßlichen Pestgeruch, sie hörte dicht hinter sich das Rumpeln des Pestkarrens
und das Singen und Kreischen der Trunkenen. — Nein, niemals mehr würde sie
diese Flucht vergessen! Und nun stolperte sie auch noch und flog in den Schmutz
der Straße.
»Und das alles nur darum, weil ich die
schöne Stadt sehen wollte!«jammerte sie. »Ich wollte doch gar nichts mit dem
Dreißigjährigen Krieg und mit der Pest zu tun haben!«
Sie hatte aber beim Fallen die Hand
ihres kleinen Begleiters fahrengelassen und mußte nun versuchen, sich allein
wieder aufzurichten.
Da aber merkte sie, daß sie nicht mehr
im Schmutz der Straße saß, sondern auf etwas Glattem, auf dem sie auf und
nieder geschleudert wurde. Auch war sie nicht mehr in stinkende Lumpen
gekleidet. Ein prächtiger, gelber, geblümter Atlasrock fiel wie eine
Blütenglocke über ihre Knie. Um sie herum saßen einige ebenso schön gekleidete
Kinder auf Atlaspolstern, und alle trugen sie das Haar hoch aufgesteckt und
silberweiß gepudert. Dott gerade gegenüber aber saß eine Dame, die von den
Kindern im Gespräch Mamsell Schönbrunn genannt wurde.
»Wo bin ich denn nur?« fragte sich
Dott, die sich gar nicht erklären konnte, warum sie alle in einem so kleinen
Stübchen zusammengedrängt sitzen mußten und so gerüttelt und auf und ab
geschleudert wurden. Da gewahrte sie ein kleines Fenster neben sich und spähte
in die Nacht hinaus.
Die Landschaft flog an ihnen vorüber,
Kiefernwälder, Kornfelder, Weinberge. Das konnte sie ganz gut erkennen, denn
vor ihnen und hinter ihnen brauste ein ganzer Zug von vergoldeten Karossen, die
mit vier oder sechs Pferden bespannt waren, und zu beiden Seiten der Wagen
sprengten Reiter mit Fackeln.
Die Karosse, in der sie saßen,
schwankte hin und her wie ein Schiff auf den Wogen und quietschte, als wollte
sie auseinanderfallen. Und nun sank sie plötzlich so tief ein, daß alle mit den
Köpfen gegen die Atlasdecke flogen.
»Was sind denn das für schreckliche
Wege!« entfuhr es der Kleinen.
Die Kinder lachten. »Weißt du denn
nicht, daß die sächsischen Straßen Augusts des Starken zu den besten im Reich
gehören?« fragten sie die kleinen Mädchen. »Hast du denn nichts davon gehört,
daß er sogar die erste neue Landkarte nach dem Dreißigjährigen Krieg hat
zeichnen lassen? — Hast du nicht die schönen neuen Postsäulen gesehen, die er
überall hat aufstellen lassen, damit die Reisenden ablesen können, wie weit sie
es noch bis zu den nächsten Städten haben? Und du sprichst von schrecklichen
Straßen!«
Die Dame schaute zum Fenster hinaus.
»Wir werden gleich in Dresden sein«, sagte sie laut, um der kleinen Dott aus
der Verlegenheit zu helfen.
»In Dresden?« schrie da die Kleine.
»Lassen Sie mich bitte gleich aus dem Wagen! Bitte, bitte! In Dresden ist die
Pest, und die Leute dort sind wahnsinnig geworden vor lauter Not!«
»Setzen Sie sich sogleich auf Ihren
Platz!« flüsterte die Dame ihr zu. »Was sollen die Prinzessinnen von Ihrer
Conduite halten!«
»Die Pest?« fragten die Kinder
neugierig.
»O, c’est une plaisanterie!« beruhigte
sie die Dame. Sie wollte aber damit sagen, die kleine Dott habe nur gescherzt.
»Seit August der Starke die alte Stadt nach dem Brand neu aufbauen ließ, ist
die Pest niemals mehr in Dresden gewesen.«
»Hör Sie, Mamsell Schönbrunn, ist denn
dies Dresden
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