Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
lassen«, dachte Dott, und dann machte sie sich begierig daran, sich an
den Beeren zu sättigen, während die Elstern wie drei Gendarmen auf Schritt und
Tritt hinter ihr herstelzten, so daß sie es nicht wagen konnte, sich durch ihr
goldenes Becherchen die natürliche Größe zurückzugeben. Denn die Elstern lieben
das Gold über alles, und was sollte sie tun, wenn sie ihr den wunderbaren
Becher raubten! —
Die kleine Dott fragte sich schon
lange, wohin die Elstern sie eigentlich schleppen wollten. Aber sie schienen
keinen anderen Plan zu haben, als irgendwelche Verfolger irrezuführen. Nachdem
sie auf ihrem Fluge nach Osten den Strom erreicht hatten, flogen sie nun wieder
in der entgegengesetzten Richtung. Als es Abend wurde, tauchte eine riesige
Stadt vor ihnen auf.
Die Elstern ließen sich darin auf einem
Platz nieder, der so groß war wie ein ungeheures Feld. Rücksichtslos fuhren sie
mit dem kleinen Menschenkind zwischen den Zweigen eines Baumes hindurch, drückten
die Kleine fest in eine Astgabelung hinein und rückten dicht um sie zusammen.
Und während die eine Wache hielt, steckten die beiden anderen den Kopf zum
Schlaf unter die Flügel.
Die Laternen flammten auf. Aus der
Ferne hörte Dott das Plätschern eines Schmuckbrunnens. Die Menschen, die in der
Abendkühle gemächlich auf dem schönen Platz umherspazierten, waren in der
weiten Fläche winzig wie Käfer, und die Straßenbahnen und Omnibusse und Autos
erschienen wie Spielzeug.
Gleichgültig saß Dott zwischen den
Ästen des Baumes. Es war so heiß und schwül zwischen den Federpolstern, daß ihr
zuletzt vor Traurigkeit und Müdigkeit die Augen zufielen.
Es war bereits heller Tag, als Dott von
einem sonderbaren Summen geweckt wurde. Auf der ganzen Fläche des Platzes waren
während der Nacht unzählige Buden und Verkaufsstände aufgebaut worden, und
Wagen und Tausende von Menschen bewegten sich zwischen ihnen hin und her.
Gerade unter dem Baum, auf dem sie saß,
standen zwei Planwagen, deren Verdeck fast bis an die Zweige reichte. Da
schlüpfte die Kleine rasch entschlossen zwischen den Elstern hervor, sprang auf
das straffgespannte graue Leinen und kletterte behende an den Stricken und am
Wagen zur Erde. Als sie aber gerade überlegte, wohin sie sich wenden sollte,
sprang ihr ein struppiger kleiner Hund in den Weg.
»Hallo!« knurrte er. »Wo kommst du her?
Und wer bist du eigentlich, so klein wie du bist?«
»O bitte, sch!« flüsterte die Kleine.
»Ich bin Dott, das Menschenkind, und spreche eure Sprache. Aber frag jetzt
nicht viel, sage mir lieber, was hier los ist.«
»Du bist wohl vom Mond gefallen, daß du
nicht weißt, daß dies die große Messe von Leipzig ist! Hast du denn nichts von
dem größten Markt der Welt gehört?« erwiderte der Hund spöttisch. »Aber du hast
Glück! Niemand könnte dir bessere Auskunft geben als ich, da ich Jahr für Jahr
mit meinem Herrn zur Messe komme. Schlampel heiße ich«, fügte er großartig
hinzu.
»Wenn du so gut Bescheid weißt, kannst
du mir vielleicht sagen, wer die merkwürdigen Leute sind, die vor diesen Wagen
stehen?« erkundigte sich die kleine Dott. »Ich meine die Männer mit dem langen
Haar und den Bärten, die so merkwürdige Zylinder auf dem Kopf haben!«
»Das sind die Kaufleute aus Rußland«,
erwiderte Schlampel ohne Zögern. »Teure Felle haben sie in dem Wagen, feines
Juchtenleder und Häute und Talg und Proben von Flachs und gesalzene und
marinierte Fische und Kaviar. Riech mal an den Tönnchen — gut, nicht?« fügte er
hinzu. »Aber die Pferde könnten dir erzählen, wie anstrengend es war,
wochenlang unterwegs zu sein, um die Waren hierher zu schaffen.«
»Warum müssen sie denn auch den ganzen
Weg von Rußland mit den alten rumpeligen Wagen fahren?« fragte Dott verwundert.
»Warum sind sie denn nicht mit der Eisenbahn gekommen?« Während sie sprach,
kroch sie behutsam unter den Wagen hindurch und begann, sich vorsichtig immer
weiter vom Baum zu entfernen.
»Eisenbahn?« fragte verächtlich der
struppige kleine Hund, der nicht von ihrer Seite wich. »Ich weiß gar nicht, was
ich von dir denken soll! In ganz Rußland gibt es keine einzige Eisenbahn! Ich
habe zwar gehört, irgendwo in Deutschland soll ein so komisches Ding wie eine
Eisenbahn herumfahren, bei der die Wagen durch Dampf statt durch Pferde gezogen
werden. Aber alle, die hierher zur Messe kommen, haben ihre Wagen durch
ordentliche Pferde ziehen lassen, wie es sich gehört!«
»Ach so — jetzt verstehe ich
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