Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
für den Endsieg. Sein Tod war unvermeidlich, glauben Sie mir.«
»Vertretbar … unvermeidlich«, wiederholte Nikolas. »Haben Sie ihn ungebracht oder war es einer Ihrer Lakaien?«
Der Offizier ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Ernst und voller Genugtuung sah er durch das Panzerglas. Er betonte jedes Wort. »Es war gar nicht so einfach. Wir brauchten drei Wagen, um ihn endlich von der Straße abzudrängen. Das Mädchen auf der Rückbank war sofort tot, aber er kroch noch über den Asphalt. Blutend, mehr tot als lebendig. Näher dem Tod, als dem Leben. Wollte unbedingt die hintere Tür öffnen und die Hand seiner Tochter halten.« Varusbachs Mundwinkel glitten nach oben, er zeigte dabei seine vom Blut rot gemalten Zähne. »Ich gab den Befehl für den finalen Kopfschuss, kurz bevor er die Hand ergreifen konnte. Er hat es nicht mehr geschafft.«
Für einen Moment musste Nikolas die Augen schließen. Sie waren feucht, die Stimme brannte vor Hass. »Sie Monster!«
»Realist, Brandenburg«, sagte Varusbach ruhig. »Realist. Was ist schon ein Leben gegen das von vielen.«
Das war genug. Langsam, sodass Varusbach alles genau mit ansehen konnte, ging er auf die Tür zu. Der Offizier hob seine Waffe, war bereit, abzudrücken, sobald Nikolas das schützende Panzerglas passierte. Doch kurz vor der Schwelle blieb Nikolas stehen, starrte ihn an.
»Sie haben recht. Was ist schon ein Leben gegen das von vielen.« Er fixierte den Zylinder, der im Raum lag. Sofort schnellte Varusbachs Hand zu seinem Gürtel, tastete diesen hastig ab. Er erstarrte. Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht. In dieser Sekunde verstand er. »Nein!«
Seine Augen weiteten sich, als Nikolas abdrückte. Mit dem zweiten Schuss traf er. Der Überdruck ließ das Gas zischend ausströmen. Mit panischem Gesichtsausdruck stürzte Varusbach auf ihn zu. Im selben Moment warf Nikolas die schwere Sicherheitstür ins Schloss und drehte das Kreuz. Der Offizier rüttelte an der Tür, hämmerte gegen sie, schrie in Panik. Rasend vor Angst zog er sich die Uniformjacke vors Gesicht, atmete durch den Stoff. Seine Fäuste trommelten gegen das Glas. Sie standen einen halben Meter entfernt voneinander, nur getrennt durch die zentimeterdicke Barriere.
Das Gas war farblos. Wäre ein Unbeteiligter hinzugekommen, hätte er nicht verstanden, warum der Mann im Inneren dieses Glaskastens sich auf einmal an den Hals griff, warum sich seine Fingernägel in die eigene Haut bohrten und nahe des Adamsapfels blutige Kratzspuren hinterließen.
Mit unbeteiligtem Ausdruck beobachtete Nikolas, wie die Beine Varusbachs nachgaben und sich seine eigene Kreation in die Lungen fraß. Seine Augen wurden aus den Höhlen gedrückt, fixierten Nikolas trotzdem stechend. Varusbach lief rot an, biss sich so stark auf die Zunge, dass er einen Schwall Blut in Nikolas’ Richtung spuckte. Varusbach keuchte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er zusammensackte. Als Letztes rutschte seine Hand langsam über das Glas nach unten, bis auch diese kraftlos zu Boden fiel.
Sollte er doch krepieren, wie er viele andere krepieren lassen wollte. Nikolas lief ein Schauer über den Rücken, als er Genugtuung empfand, ihn sterben zu sehen. Erschrocken und geschockt über seine eigenen Gedanken hasste er sich selbst in diesem Moment. Warum empfand er Erleichterung? Warum fühlte es sich an, als wäre eine unsichtbare Last von ihm abgefallen?
Als das Zucken von Varusbachs Gliedmaßen aufhörte, betätigte Nikolas den Schalter neben der Tür. Die Abzugsanlagen sprangen mit tiefem Poltern an und sogen das giftige Gas nach draußen. Nikolas wandte seinen Blick ab.
Sarin-Beauté war noch nicht im Endstadium. Es würde schnell vom Wind erfasst und bald verflogen sein. Nun war nichts mehr davon übrig.
Er hatte sein Versprechen einhalten können. Schnell hastete er die Treppe hoch, durchquerte den Flachbau und trat nach draußen. Der eisige Hauch des Winters schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Noch immer war das Bombardement der Royal Air Force in vollem Gange. Von seiner abgelegenen Position aus konnte er die brennenden Industrieanlagen sehen. Wie ein Wald aus Flammen zuckte das Feuer gen Himmel empor und beschienen den Kübelwagen mit glühendem Licht. Hoffnungsvoll schoss Nikolas auf das Auto zu und betete, dass sie noch lebte.
»Claire, wach auf!« Heftig rüttelte er an ihrer Schulter. Mehrmals stöhnte sie auf. Nur widerwillig fand sie den Weg aus dem Sog der Traumwelt zurück an die Oberfläche
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