Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Doch seine Vermutung war richtig. In der unteren Reihe fehlte ein Zylinder, und er hatte keine Zweifel, wer diesen an sich genommen hatte.
Noch bevor er diesen Gedanken ausformulieren konnte, erklangen wieder Schüsse, dann ein heller, schmerzverzerrter Schrei.
Claire!
Nikolas hielt seine Pistole fester und stürzte zur Tür. Auch Hugo verstand. Gemeinsam schlichen sie den Gang entlang. Immer wieder wurde der Boden erschüttert und eine dünne Staubschicht rieselte von der Decke herunter. Die Bomber waren hier. Nikolas verbot sich, zu atmen. Es klackerte irgendwo in ihrer Nähe, doch jedes Geräusch wurde von den tiefen Gängen zurückgeworfen und verbreitete sich wie ein Echo. Sie wandelten auf einer dunklen Spur, nur angeleitet von wenigen Geräuschen vor ihnen. Er spürte einen eisigen Hauch auf seinem Gesicht. Der Notausgang musste offen stehen, sodass der pfeifende Wind in das Untergeschoss eindringen konnte. Vor der Treppe, die nach oben in das freie Gelände führte, lagen zwei tote Soldaten. Varusbachs letzter Schutzwall. Doch keine Spur von Claire.
Draußen schwang immer noch das Dröhnen der Bomber und der Geschützdonner der Flugabwehrkanonen unheilvoll durch die Nachtluft. Sie lieferten sich ein unerbittliches Gefecht aus Tausenden Metern Entfernung. Gerade als die beiden ihre ersten Schritte auf die Treppe machen wollten, hallte ein einzelner Schuss. Nikolas erschrak und duckte sich, sein Kopf fuhr herum. Das Gesicht von Hugo war angsterregt, wandelte sich erst langsam. Schließlich wirkte sein Antlitz entspannt, fast friedlich. Ein paar Wimpernschläge später gaben seine Beine nach und er sank auf die Knie. Als hätte dieser Krieg für ihn endlich ein Ende, als könnte er nun endlich aufhören zu kämpfen, lächelte er sanft. Seine Hand zitterte, als er sie auf die Brust presste und das Blut im trüben Schein begutachtete. Ohne auch nur einen Laut auszustoßen, schloss er die Augen und klappte zusammen.
Ihre Pistole rauchte noch leicht. Im glitzernden Abendkleid richtete sie die Waffe auf Nikolas.
»Warum, Hannah?«
»Für den Endsieg, Nikolas«, wiederholte sie erneut mit traurigen Augen. Ihre Worte gingen beinahe im Hagel der Explosionen unter.
Nikolas hob langsam die Hände. Das Blut stieg ihm rauschend in den Kopf und wandelte sich mit jedem weiteren Herzschlag in glühenden Zorn.
»Es hat dir nichts ausgemacht, ihn monatelang auszuspionieren, oder? Sag mir, hat es dir Spaß gemacht? Was war das für ein Gefühl, seine Tochter im Arm zu halten mit dem Wissen, dass du sie ans Messer liefern wirst?«
Der Lauf ihrer Waffe zitterte genauso stark wie ihre Stimme. »Du weißt, dass es nicht so war.«
»Du leugnest es?«
»Nein!«, schrie sie, während Tränen ihre Augen verließen. »Ich wollte nicht, dass sie ihn umbringen. Das musst du mir glauben. Ich dachte, sie verhaften ihn vielleicht oder stellen ihn unter Arrest. Ich musste es tun, versteh das doch bitte, Nikolas.«
Er schnaubte verächtlich, sagte die Worte lang gezogen. »Für den Endsieg?«
Sie entgegnete nichts, als wäre jedes Wort zu schwer und bräuchte Überwindung. Gepresst atmend zog sie den Lauf der Waffe nach oben. Er war genau auf seinen Kopf gerichtet. »Es tut mir leid, Nikolas.«
Er wollte die Augen schließen, ihr Gesicht nicht sehen, während sie abdrückte. Doch ein Funkeln in der Finsternis hinderte ihn daran. Die gezackte Klinge stach aus der Dunkelheit heraus, als würde sie leuchten. In einer Bewegung stieß Claire Hannahs Pistole nach oben, griff in ihre blonde Haarpracht und zog ihren Kopf zurück. Hannah hatte nicht einmal die Möglichkeit zu schreien, als das Messer durch ihre Kehle glitt. Ein Schwall Blut strömte ihren Körper herunter, dann erklang ein Schuss.
Hannah war bereits röchelnd zusammengesackt, als Nikolas mit offenem Mund seinen Körper befühlte. Er war unversehrt. Dann blickte er hoch.
Mit trotziger Miene lehnte Claire an der Wand, ihre Lippen formten schmerzverzerrt einen dünnen Strich. Ihren schweren Wehrmachtsmantel hatte sie abgelegt, um die Verletzung an ihrer Schulter abzubinden. Der schwarze Pullover war am linken Arm durchnässt von Blut. Sie torkelte leicht, kaum mehr imstande, das Gewicht ihres Körpers zu tragen.
Sofort stürzte Nikolas auf sie zu und drückte sie an sich. Ihr Gesicht brannte, war benetzt von Schweiß.
»Claire …«, presste er hervor, als er ihr eine Strähne hinter das Ohr strich.
»Mir geht es gut, Nikolas.« Wie zur Bestätigung richtete sie sich
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