Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Blick wanderte. Hinter einigen Fenstern der umstehenden Häuser konnte er Silhouetten ausmachen, die schnell verschwanden und sich vor dem schwarzen Schatten versteckten. Niemand traute sich, Licht in seiner Wohnung zu machen. Ein kurzer Blick musste genügen, um sicherzustellen, dass die SS nicht vor der eigenen Tür stand. Ein Kind begann zu schreien, doch nach wenigen Sekunden erstarben die schrillen Töne.
Erst als die Geräusche der Männer leiser wurden und der Regen wieder monoton sein rauschendes Lied auf die Straße warf, traute sich Nikolas an das Gebäude heran. Vor der Tür ließ er die Zigarette auf den Boden fallen und trat dann ein, sodass er den letzten Qualm in den Komplex blies. Der beißende Geruch von Schwarzpulver drang ihm in die Nase. Im kleinen Vorraum scherzten zwei SS-Soldaten, ruhig an die Wand gelehnt, als wären solche Aktionen für sie alltäglich.
»Kriminalkommissar Brandenburg!«, hallte es laut. Der tiefe Ton von Lugers tiefe Stimme glich dem einer Tuba.
Nikolas räusperte sich und ging langsam durch den Eingang zur großen Halle. Mehrere wuchtige Maschinen säumten den Gang und wurden lediglich von Fließbändern unterbrochen, die ihren Dienst längere Zeit nicht mehr getan zu haben schienen. Eine dünne Staubschicht hatte alles bedeckt. Nur schwerlich konnte er die Treppe erkennen, welche zu dem Fertigungsboden hinunterführte. Zuckende Blitze erhellten den Raum für wenige Herzschläge und gaben ihm etwas Gespenstiges. In der Mitte der Halle thronte Luger breitbeinig und mit verschränkten Armen.
»Was fehlt?«, schrie er.
»Herr Hauptsturmführer?«
»Was fehlt, Brandenburg?«
Aus seinen Augen sprach Hass. Nikolas kam sich auf einmal unheimlich klein vor zwischen all den groß gewachsenen Männern in den bedrohlichen Uniformen. Er war nass bis auf die Haut und seine Krawatte hing sicherlich schief, doch er widerstand der Versuchung, sie gerade zu richten.
»Die Leichen!«, zischte Luger schließlich. »Sie sind weg! Alle ausgeflogen, wie die Vöglein.«
Mit dem Kopf deutete er dabei auf einen Schreibtisch, der unnatürlich angeordnet in der Mitte eines Ganges stand. Nikolas wusste, was jetzt kam, und schloss die Augen, während er sich umdrehte. Seit Monaten verfolgte er diesen Widerständler. Er schien immer einen Schritt voraus, immer schneller als er zu sein, immer ein wenig raffinierter. Es waren seine Résistancekämpfer, die zwei brillante deutsche und einen französischen Wissenschaftler umgebracht hatten und hier in Paris untertauchen konnten, wie Fische im weiten Meer. Unerkannt, anonym, spurlos. Unzählige Anschläge gingen auf sein Konto. Nach Monaten der Ermittlungsarbeit hatte Nikolas nichts zu vermelden außer Fehlschläge. Dieses Mal war er sich so sicher gewesen. Sein Informant hatte noch nie falsch gelegen. Und jetzt hatte er eine Eingreiftruppe und seinen Chef wach klingeln lassen, um eine leere Halle zu stürmen.
Erst als er kurz vor dem Tisch stand, öffnete er seine Augen. In einer viel zu großen Vase steckte ein Strauß getrockneter Gänseblümchen. Daneben ein Bild, das das Konterfei Adolf Hitlers zeigte. Nikolas griff den Rahmen und hielt ihn hoch, sodass die Blitze das Porträt erhellten. Die Augen des Führers waren mit Messern ausgehöhlt und auf seiner Stirn stachen Teufelshörner hervor.
Es war definitiv die richtige Résistancezelle. Leider war sie ihnen auch dieses Mal einen Schritt voraus.
›La Pâquerette‹ – das Gänseblümchen.
Der Boss dieser Zelle war jetzt schon eine Legende unter allen französischen Widerstandskämpfern. Ein Mythos, über den nichts bekannt war, was man auch nur ansatzweise verwenden konnte. Keine Vergangenheit, keine Aufnahmen, rein gar nichts. Er war vor einigen Jahren aus dem Nichts aufgetaucht und hatte sein Netz gespannt, das mittlerweile nicht mehr nur Paris umfasste. Nikolas hatte oft überlegt, warum er diesen Namen gewählt hatte. Irgendwann hatte er der Versuchung nicht mehr widerstehen können und im Lexikon die Bedeutung dieser Blume nachgeschlagen.
Unscheinbar, widerstandsfähig, kaum auszumerzen und überall zu finden.
»Wie lange meinen Sie, Herr Kriminalkommissar Brandenburg, dass wir Ihre Inkompetenz noch erdulden müssen?«
Tief in seine Gedanken vergraben, zuckte Nikolas zusammen. Luger stand direkt neben ihm und wisperte die Worte gepresst in sein Ohr. Nikolas hob den Strauß Gänseblümchen in die Höhe.
»Es war wieder Pâquerette.«
Lugers Faust donnerte auf den Tisch. »Jetzt
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