Wurzeln
nicht hier und könnten nicht darüber reden« – er wählte den Fuß. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, warum weiße Leute so etwas Schlimmes und Niederträchtiges tun mochten.
Aber dann war das Leben dieses Afrikaners – wie die alten Damen wußten – von Masser Johns Bruder gerettet worden, einem Dr. William Waller, der, betroffen über diese völlig sinnlose Verstümmelung, den Afrikaner für seine eigene Pflanzung kaufte. Obwohl der Afrikaner nun ein Krüppel war, konnte er sich doch auf begrenzte Weise nützlich machen, und der Doktor bestimmte ihn für den Gemüsegarten. So blieb ausgerechnet dieser Afrikaner für einen langen Zeitraum auf derselben Pflanzung – während besonders männliche Sklaven damals dauernd weiterverkauft wurden, was zur Folge hatte, daß Sklavenkinder oftmals aufwuchsen, ohne überhaupt zu wissen, wer ihre Eltern waren. Großmutter und die anderen unterhielten sich darüber, daß die frisch mit den Sklavenschiffen angekommenen Afrikaner meistens von ihren Massers neue Namen erhielten; im Fall dieses Afrikaners lautete der Name »Toby«. Aber sie wußten auch, daß er den anderen Sklaven gegenüber darauf bestand, »Kin-tay« zu heißen. Er humpelte herum, versah seine Gartenarbeit, wurde später der Kutscher seines Masser, bis »Toby« oder »Kin-tay« eine Sklavin kennenlernte und heiratete. Großmutter und die anderen alten Damen nannten sie »Bell, die Herrschaftsköchin«.
Der Afrikaner und die Köchin hatten ein kleines Mädchen, »Kizzy« genannt. Als sie vier oder fünf Jahre zählte, lehrte ihr Vater sie einzelne Worte aus seiner Muttersprache. Eine Gitarre beispielsweise nannte er »ko«. Den Fluß in der Nähe der Pflanzung – es war der Mattaponi River – nannte er »Kamby Bolongo«. Und noch vieles mehr. Als Kizzy älter wurde und ihr afrikanischer Vater besser englisch sprach, erzählte er von sich, von seinem Volk und seiner Heimat – und davon, wie er geraubt worden war, als er im Wald, unweit seines Heimatdorfes Holz für eine Trommel schlagen wollte. Vier Männer überwältigten ihn und entführten ihn in die Sklaverei.
Mit sechzehn Jahren wurde Kizzy an einen neuen Herrn verkauft, mit Namen Tom Lea, der eine kleine Pflanzung in Nord-Carolina besaß – wie Großmutter Palmer und die anderen alten Damen der Murray-Familie zu berichten wußten. Auf dieser Pflanzung brachte Kizzy einen Jungen zur Welt, dessen Vater Tom Lea war und der den Kleinen George nannte.
Als George so an die vier oder fünf Jahre alt war, fing seine Mutter an, ihm die Geschichten, aber auch einzelne Wörter ihres afrikanischen Vaters wiederzugeben, bis er sie ganz genau kannte. Später, als George etwa zwölf Jahre alt war, so hörte ich auf Großmutters Veranda, wurde er Lehrling bei einem gewissen »Onkel Mingo«, der die Kampfhähne seines Herrn betreute. Bereits mit sechzehn besaß der Junge einen solchen Ruf als Trainer für diese Tiere, daß ihm die anderen jenen Spitznamen gaben, den er bis zu seinem Lebensende trug: »Hühner-George«.
Mit ungefähr achtzehn traf Hühner-George ein Sklavenmädchen, Matilda, die er heiratete und die ihm mit der Zeit acht Kinder gebar. Bei der Geburt jedes neuen Kindes, so sagten Großmutter und die anderen, habe Hühner-George seine Familie um sich versammelt, um wieder von dem afrikanischen Urgroßvater zu erzählen, der »Kin-tay« hieß, eine Gitarre »ko« , einen Fluß in Virginia »Kamby Bolongo« und andere Dinge mit anderen Bezeichnungen benannte und der berichtet hatte, wie er gerade Holz schlagen wollte für eine Trommel, als er geraubt und in die Sklaverei entführt wurde.
Die acht Kinder wuchsen auf, heirateten und hatten eigene Kinder. Der vierte Sohn, Tom, war Schmied, als man ihn mit dem Rest der Familie einem »Masser Murray« verkaufte, der eine Tabakpflanzung im Alamance County, Nord-Carolina, betrieb. Dort traf und heiratete Tom eine halbindianische Sklavin, Irene, die von der Pflanzung eines gewissen »Masser Holt« stammte, der besaß eine Baumwollspinnerei. Auch Irene bekam mit der Zeit acht Kinder, und mit jeder neuen Geburt setzte Tom die Tradition fort, die sein Vater Hühner-George begründet hatte – nämlich der Familie am Herdfeuer von ihrem afrikanischen Ururgroßvater zu erzählen und von allen, die von ihm abstammten.
Von dieser zweiten Gruppe von acht Kindern hieß die jüngste Tochter Cynthia, die zwei Jahre alt war, als ihr Vater Tom und ihr Großvater Hühner-George den Wagentreck mit gerade
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