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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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freigelassenen Sklaven westwärts führten, nach Henning in Tennessee, wo Cynthia Will Palmer kennenlernte und mit zweiundzwanzig heiratete.
    Obwohl ich im Lauf der Zeit mit den immer wieder gehörten Berichten von all diesen nie gesehenen Leuten, die in der Vergangenheit gelebt hatten, vertraut wurde, war ich dennoch immer wieder erstaunt, wenn diese lange Geschichte schließlich bei Cynthia endete, die da als meine Großmutter leibhaftig vor mir saß, ebenso leibhaftig wie Tante Viney, Tante Matilda oder Tante Liz, die alle zusammen mit Großmutter – sie waren ihre älteren Schwestern – in diesem Wagenzug hierhergekommen waren.
    Ich lebte bei Großmutter in Henning, bis zwei jüngere Brüder geboren wurden, George 1925, und dann Julius 1929. Vater verkaufte im Auftrag von Großmutter das Holzgeschäft; er war bereits auf dem Weg zu einer Professur für Landwirtschaft. Mutter und wir drei Jungens folgten ihm dorthin, wo er lehrte; am längsten blieb er am A & M College, in Normal, Alabama.
    Dort wurde ich 1931, eines Morgens, aus der Schule gerufen, ich solle ganz schnell nach Hause kommen. Als ich in die Tür stürmte, hörte ich Vater laut und verzweifelt schluchzen. Mutter, die seit der Übersiedlung von Henning häufig krank gewesen war, lag im Sterben. Sie zählte sechsunddreißig Jahre.
    Jeden Sommer verbrachten wir, George, Julius und ich, in Henning bei Großmutter. Es war nicht zu übersehen, wieviel von ihrer alten Lebendigkeit sie seit dem Tod von Großvater und Mutter verloren hatte. Wenn die Leute am Haus vorbeikamen und sie in ihrem weißgestrichenen Schaukelstuhl auf der Veranda begrüßten: »Schwester Cynthy, wie geht’s denn?«, antwortete sie meist nur noch: »Sitze halt so rum.« Zwei Jahre später heiratete Vater zum zweitenmal, eine College-Professorin namens Zeona Hatcher aus Columbus, Ohio, die an der Ohio State University Examen gemacht hatte. Sie war bald vollauf damit beschäftigt, uns drei rasch heranwachsende Jungens zu erziehen. Dann schenkte sie uns eine kleine Schwester namens Lois. Als der zweite Weltkrieg ausbrach, war ich siebzehn, hatte ein Jahr College hinter mir und meldete mich zur U.S. Küstenwache. Auf einem Munitions-Transporter im südlichen Pazifik machte ich die ersten tastenden Schritte auf jenem langen Weg, der zu diesem Buch hinführte. Wir blieben manchmal bis zu drei Monaten auf See und hatten weniger gegen feindliche Bomber oder Unterseeboote zu kämpfen als gegen die schiere Langeweile. Auf Vaters Anraten hatte ich bereits auf der Schule Maschinenschreiben gelernt. Nun war mein wertvollster Besitz an Bord meine Reiseschreibmaschine. Ich verfaßte Briefe an jedermann, den ich kannte. Ich verschlang jedes Buch der kleinen Schiffsbibliothek und lieh mir Lesestoff von meinen Schiffskameraden. Lesen war von klein auf mein größtes Vergnügen, besonders die Lektüre von Abenteuergeschichten. Als ich alles Gedruckte an Bord wohl zum drittenmal konsumiert hatte, versuchte ich – eher aus verzweifelter Langeweile –, selbst ein paar Geschichten zu schreiben. Die Vorstellung, daß man ein weißes Blatt in die Maschine einspannen konnte, um etwas zu Papier zu bringen, das dann womöglich andere Leute lasen, forderte mich heraus, erregte und belustigte mich zugleich. Das ist bis zum heutigen Tag so geblieben. Ich weiß nicht mehr, was mich sonst noch bei diesen Schreibversuchen so motiviert haben könnte, daß ich Abend für Abend an der Maschine saß und durchhielt, bis acht Jahre später meine erste Geschichte angenommen wurde.
    Als nach dem Krieg schon dies und das von mir gedruckt worden war, verlieh mir die Küstenwache den neuen Dienstgrad eines Marinejournalisten. Weiterhin schrieb ich, wann immer es die Zeit gestattete, und die Zahl mehrerer Veröffentlichungen stieg. 1959, im Alter von siebenunddreißig, hatte ich zwanzig Dienstjahre hinter mir und konnte mit Versorgungsanspruch ausscheiden. Von nun an wollte ich nur noch schreiben.
    Zunächst verkaufte ich manchen Beitrag an Abenteuermagazine für Männer, vorwiegend über historische Themen aus dem Bereich der Seefahrt, denn ich liebe das Meer. Später gab mir Reader’s Digest Aufträge für Porträts von Leuten mit dramatisch verlaufenen oder ausgefallenen Lebensgeschichten. 1962 hatte ich das Glück, ein Gespräch mit dem berühmten Jazztrompeter Miles Davis aufzunehmen, das dann das erste in einer Reihe von vielen Playboy -Interviews wurde. Unter meinen nachfolgenden Gesprächspartnern war auch der

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