Wurzeln
damalige Führer der islamischen Bewegung in Amerika, Malcolm X. Ein Verleger las das Interview und beauftragte mich, die Biographie von Malcolm X zu schreiben.
Malcolm X bat mich, mit ihm zusammen dieses Projekt auszuarbeiten. So war ich fast das ganze folgende Jahr hindurch damit beschäftigt, ihn zu befragen, bevor mich die Niederschrift der Autobiographie des Malcolm X für ein weiteres Jahr in Anspruch nahm. Wie er mir einmal voraussagte, würde er kaum Zeit haben, das Buch zu lesen. Tatsächlich wurde er zwei Wochen nach Fertigstellung des Manuskriptes ermordet.
Später reiste ich im Auftrag einer Zeitschrift nach London. Zwischen zahlreichen Verabredungen, aufs äußerste fasziniert von der Fülle historischer Zeugnisse in dieser Stadt, ließ ich kaum eine interessante Besichtigungsmöglichkeit in den nächsten Tagen aus. So kam ich auch ins Britische Museum. Stundenlang stöberte ich dort herum, bis ich mich auf einmal einem Gegenstand gegenübersah, von dem ich vage gehört hatte: dem Stein von Rosette. Ich weiß nicht, warum er mich so beeindruckte. Aber ich entlieh sofort ein Buch in der Museumsbibliothek und vertiefte mich in seine Geschichte, um alles über ihn zu erfahren.
Ich las, daß man den Stein im Nildelta entdeckt hatte und daß in seine Oberfläche drei verschiedene Textinschriften eingemeißelt waren: eine mit griechischen Buchstaben, die zweite in Hieroglyphen, die dritte in sonderbaren Schriftzeichen, von denen man behauptete, niemand würde sie jemals entziffern können. Aber ein französischer Gelehrter, Jean Champollion, begann in der Folgezeit Schriftzeichen für Schriftzeichen zu vergleichen, und zwar den unbekannten Text wie den in Hieroglyphen auf der einen Seite mit dem bekannten griechischen auf der anderen. Und er stellte die Behauptung auf, daß alle drei Texte inhaltlich gleich seien. So lüftete er im wesentlichen das Geheimnis der vorher unbekannten ägyptischen Schriftzeichen, in denen so viel von den ersten Ereignissen menschlicher Geschichte überliefert ist. Daß es einen Schlüssel gab, mit dem man das Tor zur Vergangenheit aufgestoßen hatte, begeisterte mich. Mir schien, als habe das eine ganz persönliche Bedeutung für mich, aber ich war mir im unklaren, warum. Auf dem Rückflug in die Vereinigten Staaten streifte mich zum erstenmal eine bestimmte Idee. Dem französischen Gelehrten war, indem er die in den Stein gemeißelte bekannte Sprache mit einer unbekannten verglichen hatte, die Entschleierung eines geschichtlichen Geheimnisses gelungen. Das brachte mich auf einen kühnen Schluß: In der mündlich überlieferten Geschichte, die Großmutter, Tante Liz, Tante Plus, Cousine Georgia und all die anderen in meiner Kindheit in Henning auf der Veranda erzählt hatten, bestanden die Unbekannten der Gleichung aus diesen fremdartigen Worten oder Lauten, die von dem Afrikaner überliefert waren. Darüber begann ich nachzudenken. »Kintay«, so sagte er, war sein Name. »Ko« nannte er eine Gitarre. »Kamby Bolongo« hatte er einen Fluß in Virginia genannt. Das waren meist harte, scharf voneinander getrennte Wortbegriffe, in denen »k« dominierte. Wahrscheinlich hatten diese Laute im Laufe der Generationen einige Veränderungen durchgemacht, doch ganz unzweifelhaft repräsentierten sie phonetische Bruchstücke von ebenjener Sprache, die mein afrikanischer Vorfahr aus der Familienlegende gesprochen haben mußte. Als mein Flugzeug vor der Landung über New York kreiste, stellte ich mir die Frage: Welche afrikanische Sprache war das? Wie in aller Welt würde ich das herausfinden können?
Kapitel 119
Jetzt, über dreißig Jahre seit meiner Kindheit, war die einzige Überlebende von jenen alten Damen, die einstmals über die Familiengeschichte auf der Veranda in Henning gesprochen hatten, die jüngste von ihnen, nämlich Cousine Georgia Anderson. Großmutter war tot, genauso wie alle anderen. Cousine Georgia, längst in ihren Achtzigern, lebte inzwischen zusammen mit ihrem Sohn Floyd Anderson und mit ihrer Tochter Bea Neely in Kansas City. Ich hatte sie seit meinen häufigen Besuchen vor ein paar Jahren nicht mehr gesehen, als ich meinem politisch engagierten Bruder George meine Hilfe anbot. Dieser kandidierte damals, nach seinem Ausscheiden aus der Luftwaffe, nach dem Besuch des Morehouse College und nach dem Studium der Rechte an der Universität von Arkansas, in einer hitzig verlaufenden Wahlkampagne für das Amt eines Senators von Kansas. Bei der nächtlichen Siegesfeier
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